Von Elektroautobesitzern und ihren Erfahrungen mit Kfz-Werkstätten kann Otto Behrend einige Geschichten erzählen. Darin geht es oft um frustrierte Elektromobilisten, die vom ersehnten Servicepersonal abgewiesen wurden, weil man dort den Hochspannungstod fürchtete oder mindestens eine brennende Schrauberhalle, selbst wenn nur das Kältemittel der Klimaanlage aufgefüllt werden sollte. Eine von Behrends liebsten Geschichten ist die eines Mannes aus Bremen, der wegen eines vermuteten Lagerschadens an seinem etwa sechs Jahre alten E-Golf eine VW-Werkstatt aufsuchte.

Vier Tage befand sich das Fahrzeug dort, bis dem Besitzer des Volkswagens mitgeteilt wurde, dass man ihm nicht helfen könne. In einer anderen Werkstatt vertröstete man ihn zunächst, bis der einzige Mitarbeiter mit E-Auto-Zulassung von einem Lehrgang zurückgekehrt war. Der erklärte ihm schließlich, dass einzig der Austausch der gesamten Antriebseinheit möglich sei. Kostenpunkt: 8000 Euro. Der Mann lehnte ab, recherchierte und fand beim Zulieferer Scheffler eine Alternative. Dort war ein Reparaturset für den Elektromotor für 600 Euro zu bekommen. Nur fand sich keine Werkstatt, die die Reparatur vornehmen wollte. „Wir hätten ihm helfen können“, sagt Otto Behrend.

Akku nicht das Hauptproblem

Der 31-Jährige ist Chef der EV Clinic Berlin, die sich am Südwestrand des früheren Flughafens Tegel befindet. Behrend trägt keinen weißen Kittel, sondern sitzt in schwarzer Arbeitskluft an einem mit allerhand technischem Gerät beladenem Schreibtisch. Als der Airport noch in Betrieb war, wurden hier Rollfeldfahrzeuge repariert. Nun sind es Elektroautos. Die Werkstatt ist etwa so groß wie das Spielfeld eines Tennisplatzes. Zwei Tesla Model S stehen darin. Eine weitere Limousine sowie ein BMW i3 schweben in Kopfhöhe auf Hebebühnen. Es ist der OP-Saal der EV Clinic. EV steht für electric vehicle.

Otto Behrend hat die Firma zusammen mit Max Möckel, Leonard Rentsch und Erik Zinger gegründet. Die vier haben an Berliner Hochschule für Technik Mechatronik studiert und dort bereits gemeinsam an einem Forschungsprojekt gearbeitet. Es ging darum, Batterien von Elektroautos bis in die einzelne Zelle zu analysieren, um sie punktgenau und kostengünstig reparieren zu können. Die vier haben gelernt, was möglich ist, allerdings nur in den seltensten Fällen praktiziert wird. Inzwischen zerlegen sie auch andere Strom-Komponenten, um nach Reparaturmöglichkeiten zu suchen. Meist sind sie erfolgreich. „Wir wollen mehr Elektromobilität, nicht noch mehr Elektroschrott“, sagt der Clinic-Chef.

Tatsächlich ist man derzeit nicht nur in den deutschen Werkstätten dabei, die Ökobilanz des an sich klimafreundlichen Elektroautos mit großer Sorglosigkeit dramatisch zu verschlechtern. Denn defekte Hochvolt-Aggregate werden nicht etwa repariert, sondern großzügig ausgetauscht. Quittieren einzelne Bauteile dann noch außerhalb der Garantiezeit ihren Dienst, sind die Kosten oft so hoch, dass sie selbst für ein Fahrzeug im besten Alter den wirtschaftlichen Totalschaden bedeuten. Immerhin kostet beispielsweise eine neue Batterie bis zu 25.000 Euro. Längst beklagen auch Kfz-Versicherer die schlechten Diagnose- und Reparaturmöglichkeiten der Werkstätten. Wenn dort die Kosten nicht sinken, sei die Akzeptanz der Elektroautos nachhaltig in Gefahr, heißt es in der Versicherungswirtschaft.

Nach den Erfahrungen der vier Schrauber aus Tegel ist die Batterie aber gar nicht das Hauptproblem. Die macht tatsächlich etwa die Hälfte des Preises eines Elektroautos aus, doch in der Regel geben die Hersteller eine Garantie über acht Jahre oder eine Laufleistung von 160.000 Kilometern.

Auch versprechen sie, dass der Akku nach 1500 Ladezyklen allenfalls 20 Prozent seiner ursprünglichen Kapazität verliert, also noch immer eine Reichweite von beispielsweise 320 statt 400 Kilometern ermöglicht. Und dabei seien laut Behrend Komplettladungen gemeint. „Die Batterie ist besser als ihr Ruf“, sagt er und nennt die wahren Fehlerquellen, die aus einem Elektroauto abrupt eine Immobilie machen können: „Das sind der Elektromotor, der Onboard-Lader, der Spannungswandler und erst zum Schluss kommt die Traktionsbatterie“, so Behrend.

Für diese Erkenntnis greifen die Berliner Clinic-Betreiber auch auf die Erfahrung von Vanja Katic zurück. Der Kroate gilt europaweit als der Experte, wenn es um die Reparatur von Elektroautos geht. Bereits vor 15 Jahren hatte er in Zagreb die Ur-EV Clinic gegründet und war auch maßgeblich an der Entstehung der Berliner Firma beteiligt. Behrend und Katic hatten sich im vorigen Jahr über die Lösung eines technischen Problems kennengelernt, und die Berliner den kroatischen E-Auto-Flüsterer offenbar auf Anhieb überzeugt. „Das sind wirkliche Experten“, sagt Katic. In der Folge entstand die Berliner EV Clinic als erster Ableger der Zagreber E-Auto-Werkstatt überhaupt.

Erst Mitte Januar hatten die studierten Mechatroniker ihr Unternehmen in das Gewerberegister eintragen lassen. Hoffnungsvoll, aber auch etwas unsicher, wie sie zugeben. Letzteres hat sich inzwischen als grundlos erwiesen. Im Februar hatten sie 140 Anfragen von E-Autobesitzern. Mehr als 30 Fahrzeuge haben sie bereits vor der Schrottpresse retten können. 100 Termine sind fest gebucht, wobei die wenigsten Kunden Berliner sind. Ein Drittel der Kundschaft kommt aus dem Ausland, vor allem aus den Niederlanden und aus Dänemark, und immer ist die Hoffnung auf Hilfe groß. Denn während die E-Autohersteller einer Batterie noch für acht Jahre Zuverlässigkeit garantieren, gilt das bei den anderen Hochvolt-Bauteilen oft nur für vier Jahre oder 100.000 Kilometer. Dann wird es richtig teuer.

„Mehr als 80 Prozent der Autos, die zu uns kommen, wurden von den Vertragswerkstätten zu wirtschaftlichem Totalschaden erklärt“, weiß Leonard Rentsch. „Ohne uns würden sie auf dem Schrott landen“, sagt er. Als Beispiel nennt der 28-Jährige einen Renault Zoe, bei dem wegen einer defekten Motorsteuerung der gesamte Motor getauscht werden sollte. Für 8000 Euro. In der EV Clinic konnte die Steuerung für weniger als 2000 Euro repariert werden. Für den E-Smart bieten sie eine Batteriereparatur für 1000 bis 2500 Euro an, während für den Austausch 7000 Euro aufgerufen werden.

Regelmäßig würden Werkstätten laut Rentsch den Austausch einer kompletten Antriebseinheit als alternativlos anbieten, obwohl nur ein Kugellager oder ein Dichtungsring erneuert werden müsste. Den meisten könne vergleichsweise günstig geholfen werden.

Werkstatt und Entwicklungslabor

Für die vier Mechatroniker ist die Werkstattarbeit dennoch nur Mittel zum Zweck. Denn sie nutzen die EV Clinic auch als Entwicklungslabor, in dem sie das im Studium begonnene Forschungsprojekt weiterführen. Sie wollen weiterhin Messgeräte entwickeln, die Werkstätten dazu befähigen, endlich selbst defekte Batterien eines Elektroautos zu analysieren und zu reparieren. „Wir hätten uns dafür als Start-up Investoren suchen können“, sagt Otto Behrend. „Nun finanzieren wir mit der Werkstatt unsere Forschung selbst.“

Der potenzielle Bedarf lässt allerdings Zweifel aufkommen, dass den vier Stromer-Schraubern der E-Auto-Notaufnahme künftig noch viel Zeit für ihr Entwicklungsthema bleiben wird. Denn laut Zahlen des Kraftfahrt-Bundesamts sind hierzulande bereits heute etwa 34.000 Elektroautos mindestens acht Jahre alt. Setzt man ein Mindestalter von vier Jahren zugrunde, ab denen die Garantie für die meisten Bauteile neben der Batterie abläuft, sind es bereits 1,4 Millionen Elektroautos. Nur in Deutschland.

Ihnen droht nach derzeitigem Stand bei technischen Problemen ein Ende als Elektroschrott, was ökologisch nicht weniger als eine Katastrophe wäre. Dass sich daran bald etwas ändert, glaubt man jedoch in Tegel nicht. Die deutschen Hersteller führen der Konkurrenz in Sachen Elektromobilität mit einem Abstand von fünf Jahren hinterher, sagt Leonard Rentsch und hat auch wenig Hoffnung, dass der Rückstand aufgeholt wird. „Jedenfalls nicht, wenn man dort weiterhin keine Lust auf Elektroauto hat, sondern weiter am Verbrenner festhält.“