Lehrkräfte an öffentlichen Musikschulen müssen eigentlich fest angestellt werden. So hat es im Sommer 2022 das Bundessozialgericht im sogenannten Herrenberg-Urteil entschieden. Im Sozialgesetzbuch existiert jedoch ein Schlupfloch: Falls die Lehrkräfte selbst zustimmen, kann von einer solchen Festanstellung abgesehen werden. Zumindest bis Ende 2026. Wie nun bekannt wurde, soll die Senatsverwaltung für Kultur die Berliner Lehrkräfte unter Druck setzen, freiwillig auf eine feste Stelle zu verzichten. Wir haben darüber mit Andreas Köhn vom Landesmusikrat gesprochen.


Herr Köhn, wie viele Musiklehrkräfte gibt es eigentlich in Berlin an öffentlichen und privaten Musikschulen?

In den bezirklichen Berliner Musikschulen sind circa 2400 Lehrkräfte beschäftigt, davon 1800 auf Honorarbasis, also 75 Prozent. Die Zahl der Beschäftigten an privaten Musikschulen ist mir nicht bekannt.


Stimmt es, dass Honorarkräfte an den öffentlichen Berliner Musikschulen systematisch dazu gedrängt werden, auf eine Festanstellung zu verzichten? Falls ja: Wie viele Fälle sind Ihnen da bekannt? Sind davon alle Bezirke gleichermaßen betroffen?

Entsprechend dem Rundschreiben der Senatsverwaltung für Kultur von Mitte Mai an die zuständigen Bezirksstadträte beziehungsweise Amtsleitungen mit der Aufforderung, von allen betroffenen Honorarlehrkräften entsprechende Zustimmungserklärungen einzufordern, wird dies derzeit sukzessive an allen bezirklichen Berliner Musikschulen umgesetzt. Diese Vorgehensweise basiert auf der in dem neuen Paragrafen 127 im Sozialgesetzbuch, viertes Buch, eingeräumten Möglichkeit, bis zum 31. Dezember 2026 statt Festanstellungen (wie es in anderen Bundesländern an den öffentlichen Musikschulen seit dem Herrenberg-Urteil vollzogen wird und wurde) eine Zustimmungserklärung zwecks Weiterbeschäftigung auf Honorarbasis einzuholen.


Was bedeutet das für die betroffenen Berliner Musiklehrkräfte?

Weiterhin prekäre Beschäftigung in jederzeit beendbaren Vertragsverhältnissen, mit hoher Wahrscheinlichkeit Altersarmut sowie mangelnde Wertschätzung ihrer Tätigkeit durch den Berliner Senat.


Bringt das Freelancertum nicht auch Vorteile mit sich, um freier anderen Musikprojekten außerhalb des Unterrichts nachzugehen?

Die Möglichkeit, außerhalb der festangestellten Tätigkeit an der Musikschule anderen Musikprojekten in der freien Szene oder wie auch immer nachzugehen, besteht weiter – und wird auch von vielen bereits Festangestellten an den bezirklichen Musikschulen getätigt. Honorarlehrkräfte müssen derzeit bei Tätigkeiten außerhalb der Musikschule Absprachen mit der Musikschulleitung treffen – und dies gilt auch zukünftig.


Haben Sie Verständnis dafür, dass der Senat das Geld für Festanstellungen sparen will in Zeiten klammer Kassen?

Die Musikschule der Stadt Hamburg wirbt bei Stellenausschreibung mit dem Hinweis, dass nur festangestellte Musikpädagogen auf tariflicher Basis beschäftigt werden, und im Bundesland Bayern sind Honorarlehrkräfte an den kommunalen Musikschulen so selten wie eine lila Kuh auf der Alm. Berlin war schon immer das absolute Schlusslicht bei Festanstellungen an den Musikschulen im bundesweiten Ranking. Der Anstieg von sieben Prozent in 2016 auf jetzt 25 Prozent von festangestellten Lehrkräften ist dem letzten rot-rot-grünen Senat und dessen Kultursenator Klaus Lederer zu verdanken. Berlin hat immer leere Kassen, wie auch die 343 Kommunen, die trotzdem, wegen des Herrenberg-Urteils und der Anpassung der Rentenversicherungsprüfkriterien, seit 2024 zu einer hundertprozentigen Festanstellung an ihren Musikschulen übergegangen sind. Im Durchschnitt sind bundesweit 76 Prozent der Lehrkräfte an öffentlichen Musikschulen inzwischen festangestellt.


Die Rede ist von 25 Millionen Euro Mehrkosten, die durch Festanstellungen in Berlin entstehen würden.

Es ist die Frage, wo man die Prioritäten setzt, also ob 61.000 Kinder und Jugendliche, die an den Musikschulen unterrichtet werden, eine Rolle spielen für den Berliner Senat; ob die soziale Situation von 1800 engagierten Musikpädagogen von Bedeutung ist für den Berliner Senat und ob die höchstrichterliche Rechtsprechung, also der Rechtsstaat, Basis der Arbeit des Berliner Senats sind.


Welche Konsequenzen hat die prekäre Situation der Musiklehrkräfte konkret für Kinder, Jugendliche oder auch ältere Menschen, die in Berlin ein Musikinstrument erlernen möchten?

Die beginnende Abwanderung der Honorarlehrkräfte zum Beispiel als Quereinsteiger in die Schulen, an kommunale Musikschulen im Speckgürtel, also ins Land Brandenburg, sowie in andere Bundesländer hat längst begonnen. Damit wird die Quantität mittel- und langfristig reduziert; und bei Ersetzung der ausgebildeten Musikpädagogen mit entsprechendem Abschluss durch Hobbymusiker als Lehrkräfte wird gegebenenfalls die Qualität schwinden. Berlin hat die älteste Musikschule Deutschlands (Charlottenburg, heute City West) und wird wohl langfristig kein wesentliches, öffentlich finanziertes Musikschulangebot mehr anbieten. Privat ist teuer, und damit schafft man ein gutes Beispiel für die weitere Spaltung der Gesellschaft dank des Berliner Senates.

Interview: Stefan Hochgesand