Donnerstag, 9. Januar 2025, Berliner Zeitung
Verbaute Zukunft
Die Streichungen im Berliner Haushalt treffen auch freie Träger, die die Gefängnisinsassen auf das Leben in Freiheit vorbereiten
Cedric Rehman
Nein, Kost nur noch aus Wasser und Brot droht der Mehrheit der rund 3500 JVA-Insassen Berlins als Folge von Inflation und Haushaltskürzung nicht. Eine Berliner Tageszeitung griff Anfang Januar eine Meldung im Amtsblatt auf. Ihr zufolge steigen die Haftkostenbeiträge für Essen und der Unterbringung in Zellen für Gefängnisinsassen mit Einkommen um zehn Prozent. Die Angabe ist korrekt. Nur betrifft sie die von der Justizsenatsverwaltung laut einer Sprecherin nicht einmal zentral in einer Statistik erfasste Gruppe der Freigänger mit einem Job außerhalb der Gefängnismauern.
Die Preissteigerungen lassen sich auf der Internetseite der Justizsenatsverwaltung nachlesen. Die Unterbringung in einer Einzelzelle kostet Freigänger nun im Monat 236 Euro statt 225 Euro, das Mittagessen 124 Euro statt 114 Euro. Der Beitrag für das Frühstück steigt im Vergleich zum Vorjahr von 60 auf 65 Euro.
In der JVA Tegel, mit 896 Belegungsplätzen eine der größten Haftanstalten Deutschlands, gibt es laut Angaben eines Sprechers keinen einzigen Freigänger. Er habe die Meldung gelesen, sich aber über den Nachrichtenwert gewundert, sagt der Sprecher. „Das betrifft nur die Insassen im offenen Vollzug, die tagsüber außerhalb des Gefängnisses arbeiten und nur nachts in der Zelle sind. Das ist eine sehr kleine Gruppe“, sagt der Sprecher.
Laut Olaf Heischel, Vorsitzender des Berliner Vollzugsbeirats, handelt es sich bei Haftkostenbeiträgen um eine geringfügige Einnahmequelle für die unter Sparzwang stehende Landesregierung. Haftkosten fielen in der Regel erst an, wenn alle anderen Obliegenheiten eines Gefangenen vom Gefängnislohn abgezogen seien. „Da wird selten etwas übrigbleiben“, erklärt Heischel. Ausnahme seien die Häftlinge im offenen Vollzug. Und der sei eben nicht der generelle Fall.
Etabliertes Modell
Heischel vermutet hinter der Erhöhung der Haftkostenbeiträge Symbolpolitik. Die beschlossenen Haushaltskürzungen träfen die Insassen der Berliner Gefängnisse an anderer Stelle massiv, erklärt der Vollzugsbeiratsvorsitzende. Zusammengestrichen worden sei alles, was den Häftlingen nicht von der Verfassung verbrieft werde. Die privaten Träger der Straffälligenhilfe müssten in diesem Jahr saftige Zuwendungskürzungen von 4,5 Millionen Euro verdauen. Das entspricht 60 Prozent der bisherigen Mittel. Der Vorsitzende des Vollzugsbeirats nennt die Einsparungen präzedenzlos. Sie gefährdeten das etablierte Modell der Berliner Straffälligenhilfe. „Da steht es jetzt Spitz auf Knopf“, warnt Heischel.
Berliner Vereine und Institutionen kümmern sich, bisher im Wesentlichen finanziert durch das Land, um viele Aufgaben, zu denen Sozialarbeiter in einem Gefängnisalltag kaum noch kämen, erläutert der Vollzugsbeiratsvorsitzende. Die Bürokratie beschreibt Heischel als lähmend für die festangestellten Sozialarbeiter in den Haftanstalten. „Im Knast muss man alles beantragen“, sagt er. Resozialisierung – der Einstieg von Straftätern in das gesellschaftliche Leben und die Verhinderung weiterer Vergehen – werde in Berlin vor allem von externen Dienstleistern übernommen. „Das hat für den Justizvollzug viele Vorteile“, schildert Heischel. Die privaten Träger könnten etwas freier von für Gefängnismitarbeiter verpflichtenden Regularien und strengen Dokumentationspflichten agieren, erläutert der Vollzugsbeiratsvorsitzende.
Loch in den Finanzen
Doch die privaten Träger müssen nun in unterschiedlichem Ausmaß mit den gekürzten Mitteln auskommen. Christian Belling von der Schuldner- und Insolvenzberatung für den Berliner Justizvollzug bei der Berliner Stadtmission schildert, was die Kürzungen für seine Arbeit bedeuten. Seine Stelle berät Straffällige, die einen Schuldenberg vor sich herschieben. Eine bisher zu 75 Prozent vom Land finanzierte 100-Prozent-Kraft reduziere in Folge der gekürzten Mittel auf 50 Prozent. Eine weitere Mitarbeiterin werde verstärkt in einer anderen Schuldnerberatung der Stadtmission eingesetzt. „Im Vergleich zu anderen Trägern sind wir noch einigermaßen glimpflich davongekommen“, sagt Belling.
Sybille Arndt, Leiterin des Berliner Gefängnistheaters „Aufbruch“, fürchtet angesichts von durch die Justizsenatsverwaltung um 70 Prozent gekürzten Mitteln um die Zukunft ihres Projektes. Immerhin hält die Kultursenatsverwaltung an ihrer Basisförderung fest. „Wir suchen natürlich nach Sponsoren, um die Lücke zu schließen. Aber in der Kultur sind wir damit ja derzeit nicht die Einzigen“, sagt Arndt.
Häftlinge der JVA Plötzensee proben derzeit für die Premiere von „1984“ nach George Orwell am 22. Januar. Sollten sich nicht ausreichend Drittmittel finden, um das Loch in den Finanzen zu stopfen, seien weitere Theaterprojekte in Gefahr, sagt Arndt.
Vollzugsbeiratsvorsitzende Heischel kennt die Stimmen, die Gefängnistheater und andere Angebote zur Vermittlung sozialer Kompetenzen für JVA-Insassen zu überflüssigem Luxus erklären. Er hält mit dem Argument dagegen, dass Resozialisierung künftige Straftaten verhindern soll. Wer etwa dank einer Schuldnerberatung seine Finanzen in den Griff bekomme, sei gefeiter gegen die Verlockung schnellen Geldes durch krumme Geschäfte.
Außerdem endeten Rechte etwa auf kultureller Teilhabe nicht an Gefängnismauern. 60 bis 70 Prozent der JVA-Insassen säßen Freiheitsstrafen von zwei bis drei Jahren ab, erklärt Heischel. „Das sind nicht alles absolut schreckliche Menschen“, sagt er. Viele von ihnen sind dem Berliner Vollzugsbeiratsvorsitzenden zufolge nur für eine überschaubare Zeit hinter Gittern. Und sie entscheide, ob Straffällige wieder den Weg in die Gesellschaft finden.