Montag, 6. März 2023, Berliner Zeitung
Der rote Filz
Die SPD hat seit Jahrzehnten ihre Leute an entscheidenden Stellen in der Verwaltung platziert. Ein Insider berichtet

Andreas Kopietz
Franziska Giffey von der SPD setzte am Donnerstagmorgen einen bemerkenswerten siebenteiligen Tweet ab. Darin begründete sie, warum der Landesvorstand ihrer Partei für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit der CDU stimmte: „Aus Verantwortung für unsere Stadt“, schrieb sie unter anderem. Für einen Neuanfang dürfe es kein „Weiter so“ geben.
Doch es spricht vieles dafür, dass es genau so weitergeht. Denn die SPD, die in Berlin seit Jahrzehnten an der Macht ist, hat sich den Staat zur Beute gemacht. Sie hat ihre Leute an wichtigen – und mitunter sehr gut bezahlten – Schaltstellen platziert. So sind die landeseigenen Gesellschaften an den wichtigen Posten mit SPD-Leuten besetzt.
Bei Pizza und viel Cola sprach die Berliner Zeitung lange und ausführlich mit einem Insider, der seit Jahrzehnten im Senat arbeitet und das Personal in der Berliner Verwaltung gut kennt. „Nicht jeder Sozialdemokrat in der Verwaltung ist parteipolitisch unterwegs. Weit über 90 Prozent machen ihre Arbeit ordentlich“, sagt der Verwaltungskenner, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. „Aber manche Leute sind nur in leitenden Positionen, weil deren Karriere deutlich befördert wurde, indem man die Kriterien bei den Stellenausschreibungen an sie angepasst hat.“
Für das Schulsystem in dieser Stadt ist seit 1996 die von der SPD geführte Bildungsverwaltung verantwortlich. Die Qualifikation vieler Schulabgänger, die sich bei Firmen bewerben, spricht für sich. Seit einigen Jahren findet zum Beispiel die Polizei nicht mehr ausreichend geeignete Bewerber. Es gibt Medizinstudenten in der Vorklinik, die in der Schule nicht gelernt haben, wie man Molmengen berechnet und wie ein Stromkreis funktioniert.
Sozialdemokraten sitzen in den Führungsetagen der Wohnungsbaugesellschaften – und in Schlüsselverwaltungen wie der Finanzverwaltung. Der Insider hat einige Organisationspläne von Verwaltungen mitgebracht. Sie entstammen unter anderem dem jährlich erscheinenden Beteiligungsbericht der Senatsverwaltung für Finanzen. In dem mehr als 330 Seiten langen Report stehen auch die Jahresbezüge der Aufsichtsräte sowie der Geschäftsführer, die bei weit über 100.000 Euro beginnen und bis über 200.000 Euro reichen. Auf der Internetseite der Verwaltung ist der Bericht etwas versteckt, aber mit etwas Google-Raffinesse zu finden. Die Abteilungen und Beteiligungen, in denen die SPD ihren Einfluss geltend macht, hat der Verwaltungskenner mit roten Filzstift-Punkten versehen.
Zwar steht an der Spitze der Finanzverwaltung derzeit – noch – ein grüner Senator. Aber seit 2001 war die Behörde in sozialdemokratischer Hand, sieht man von dem parteilosen Senator Ulrich Nußbaum ab, der aber auf dem SPD-Ticket in die Landesregierung einzog. Und so sitzen dort an entscheidenden Stellen SPD-Leute: Im Leitungsstab des Senators etwa ist eine Sozialdemokratin. Auch vier von fünf Abteilungsleitern waren Sozialdemokraten. Einer ging im Dezember in den Ruhestand.
Eine Referatsleiterin, die bis August 2022 in der Behörde arbeitete, war lange Zeit Haushaltsexpertin der SPD Spandau. Acht weitere rote Filzstift-Punkte setzt der Insider bei verschiedenen anderen Referatsleitern.
Einfluss auf Landesunternehmen
In der Finanzverwaltung ist eine SPD-Frau aus Pankow als Abteilungsleiterin zuständig für Beteiligungen; sie hat damit wesentlichen Einfluss auf die Landesunternehmen. Sie ist im Übrigen auch in den Aufsichtsräten der Wohnungsbaugesellschaft Stadt und Land und der Musicboard Berlin GmbH, die die Kultur- und Kreativwirtschaft im Bereich der Popmusik und -kultur fördert. Deren Geschäftsführerin Katja Lucker, ebenfalls eine SPD-Frau, wurde im vergangenen Jahr laut Beteiligungsbericht mit 116.000 Euro im Jahr versorgt.
SPD-Personal sitzt auch in leitenden Positionen bei 100-prozentigen Landesbeteiligungen wie etwa der Berliner Hafen- und Lagerhausgesellschaft (Behala), der Berliner Großmarkt GmbH und bis vor einiger Zeit auch bei der Tegel Projekt GmbH. Deren Geschäftsführer (Jahreseinkommen 198.000 Euro) ging allerdings von der Fahne, als Michael Müller 2021 den Posten als Regierender Bürgermeister räumen musste. Beide gelten als gute Freunde seit vielen Jahren.
Mitglieder der SPD haben und hatten auch Spitzenjobs bei der Berliner Stadtreinigung und der BVG inne. Sozialdemokratisch dominiert ist die 25-prozentige Beteiligung des Landes an der Energie-Agentur, und die 15-prozentige Beteiligung an der Tourismus & Kongress GmbH, die den Tourismus und das Kongresswesen fördert.
„Wenn jemand ein Parteibuch hat, heißt das nicht, dass er schlecht ist“, sagt der Senatsmitarbeiter. „Es gibt sehr viel gute Leute. Aber es fällt schon auf, dass auch in der Wirtschaftsverwaltung die Führungspositionen im Wesentlichen sozialdemokratisch besetzt sind.“
Netzwerke – egal ob unter Sozialdemokraten, Linken, Grünen oder CDU-Leuten – sichern Macht und Einfluss, vor allem wenn um Haushaltsthemen verhandelt wird. Das ist auf Bundesebene und in CDU- und CSU-Ministerien in anderen Bundesländern das Gleiche. „Man schaut, dass man vertrauensvolle Mitarbeiter hat. Aber wenn ich anfange, das Parteibuch bei Stellenbesetzungen zu einem Kriterium zu machen, finde ich das schwierig“, sagt der Insider.
Linke holte CDU-Mitglied
Dass es auch anders geht, zeigt sich an der Geschäftsführerin der Tempelhof Projekt GmbH (202.000 Euro im Jahr 2021). Sie wurde 2017 von der damaligen Bausenatorin Katrin Lompscher (Linke) aus Baden-Württemberg geholt. Die Geschäftsführerin ist Architektin und CDU-Mitglied. Sie saß unter anderem im Kreistag Ostalbkreis und war dann Bau-Bürgermeisterin in Aalen. Was die Tempelhof Projekt GmbH bis heute leistete, ist allerdings nicht ohne Weiteres zu erkennen.
Gleichwohl sitzt in ihrem Aufsichtsrat ein früherer Gerichtspräsident im Ruhestand aus Bremerhaven: Der Mann, bis zu seinem Austritt lange Jahre in der SPD, wurde einst von Finanzsenator Nußbaum angeheuert. Ein Posten im Aufsichtsrat bringt ein kleines Zubrot für eine relativ stressfreie Tätigkeit. Der pensionierte Richter bekommt 1000 Euro pro Jahr. Bei der zu 100 Prozent landeseigenen Berlinovo Immobilien Gesellschaft mbH, die Wohnungen und Gewerbeimmobilien vermietet, erhält er als Aufsichtsratsmitglied auch noch eine Kleinigkeit, wie aus dem Beteiligungsbericht hervorgeht.
Die Gründung der Berlinovo resultiert aus dem Bankenskandal 2001 und dem Zusammenbruch der Bankgesellschaft Berlin, was dem Land Berlin weitere Milliardenschulden einbrockte. Damals entschied das Land Berlin, die Not leidenden Immobilienfonds mit Renditegarantie von der Bankgesellschaft abzutrennen und diese Beteiligungen über die Berliner Immobilien Holding (BIH) als Bad Bank einzulegen.
Die Bankgesellschaft wurde verkauft. Das Land Berlin bürgte für die Renditeversprechen. Aus dem Verkauf der alten Bankgesellschaft konnte die landeseigene Bad Bank die Fonds zurückkaufen. Aus der BIH wurde später die Berlinovo. Studenten können bei ihr 24 Quadratmeter große Mikroappartements für rund 380 Euro im Monat mieten. Im Aufsichtsrat sitzen unter anderem die frühere Vorsitzende des DGB Berlin-Brandenburg, Doro Zinke (2000 Euro Zubrot pro Jahr), und der ehemalige Vorsitzende der Geschäftsführung des Flughafens Berlin-Brandenburg, Engelbert Lütke Daldrup (7000 Euro). Und wieder taucht im Beteiligungsbericht der pensionierte Richter aus dem fernen Bremerhaven auf, und zwar als stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender mit 8000 Euro jährlich.
Dann gibt es die Wohnungsbaugesellschaft Gewobag, bei der das Land Berlin zu 96,69 Prozent Gesellschafterin ist. Dort saß laut Beteiligungsbericht im Jahr 2020 im Aufsichtsrat eine Frau, die früher parteilose Staatssekretärin im Ministerium für Infrastruktur und Raumordnung des Landes Brandenburg war und vom damaligen SPD-Ministerpräsident Matthias Platzeck als „SPD-nah“ bezeichnet wurde: Dorette König. Sie bekam 2020 bei der Gewobag pro Jahr 6000 Euro. Im Aufsichtsrat der Wohnungsbaugesellschaft Degewo, bei der das Land Berlin 100-prozentige Gesellschafterin ist, bezog sie im vergangenen Jahr 1000 Euro. Ihr Vertrag läuft dort von 2021 bis 2024.
Dorette König ist auch Chefin des RBB-Verwaltungsrats und soll das Finanzgebaren der RBB-Führung aufklären. Doch sie hat gerade ein Problem: Wie Business Insider berichtet, soll sie eine unzulässige Zulage von 200 Euro pro Monat bekommen haben.
Auch der Aufsichtsratsvorsitzende der landeseigenen Stadt und Land Wohnbauten-Gesellschaft ist SPD-Mitglied. Laut Beteiligungsbericht erhält er dafür 8000 Euro pro Jahr. Er war BSR-Personalvorstand und aktiv bei Verdi.
In ihrem Tweet schrieb Franziska Giffey über die Zusammenarbeit mit der CDU: Sie ermögliche, dass die SPD „weiter entscheidend mitgestalten“ könne. Das ist zu befürchten.