Nele Hünecke nickt. Das kann sie noch. Sie kann den Kopf schütteln und die Zunge ein wenig herausstrecken, doch sonst kann die 29-Jährige nicht mehr viel. Sie hat Schmerzen am ganzen Körper, liegt auf der Intensivstation des Evangelischen Krankenhauses Königin Elisabeth Herzberge in Berlin-Lichtenberg – seit Wochen nun schon. Die Ärzte haben einen Luftröhrenschnitt gemacht, um die junge Frau invasiv zu beatmen. Einen Zugang zum Dünndarm haben sie gelegt, um sie künstlich zu ernähren. Sie tun ihr Möglichstes.

Regina Hünecke ist bei ihrer Tochter. Die Familie lebt normalerweise in dem niedersächsischen Dorf Barchel. Aber seit langem ist für sie nichts mehr normal. Ins 400 Kilometer entfernte Berlin sind sie wegen der Charité gekommen. Sie wussten sich nicht mehr anders zu helfen. Doch die Ärzte in der Hauptstadt sind inzwischen ebenfalls ratlos, haben viel probiert, nichts half. „Sie sagen, es sei nicht abzusehen, wie lange Nele das noch durchhält“, erklärt Regina Hünecke. „Es geht nur bergab.“ Und das seit zweieinhalb Jahren. Seit Nele Hünecke gegen das Coronavirus geimpft wurde. Mit Moderna, einem mRNA-Vakzin.

Es gibt drei medizinische Gutachten, die belegen, dass Nele Hüneckes kritischer Zustand auf die Impfung zurückzuführen ist. „Dennoch wird so getan, als hätte das nichts miteinander zu tun“, sagt ihre Mutter. Und dann erzählt sie, wie es dazu kam, dass aus einer jungen, aktiven Frau ein Pflegefall wurde. Es ist eine tragische Geschichte. Sie handelt von einem Impfschaden und der fehlenden Bereitschaft der Behörden, ihn als solchen anzuerkennen. Die Geschichte zeichnet kein gutes Bild von der Aufarbeitung der Corona-Pandemie in Deutschland. Sie spricht nicht für die Bereitschaft staatlicher Stellen, Lehren aus den drei Jahren zu ziehen, damit sich begangene Fehler in der nächsten gesundheitlichen Krise nicht wiederholen. Sie spricht nicht für die Politik, die diesen Prozess anstoßen, die ihn forcieren und moderieren müsste.

Die Geschichte beginnt mit einem Befund: Nele Hünecke leidet seit ihrem 15. Lebensjahr an Epilepsie. Sie ist medikamentös eingestellt, arbeitet als Kauffrau für Büromanagement. Sie geht tanzen, trifft sich mit Freunden, macht, was junge Menschen eben machen. Doch ihr Leben ändert sich am 2. August 2021 mit einem Schlag, mit einer Injektion, der zweiten Dosis des Präparats Spikevax von Moderna.

So ist es im Impfpass festgehalten. Regina Hünecke hat das gelbe Heft bei sich: Chargen-Nummer, Stempel, Unterschrift, alles ordnungsgemäß dokumentiert. „Eine der Chargen-Nummern steht in einer Liste der Impfstoffe mit vielen Nebenwirkungen.“ Moderna wurde später nicht mehr bei jungen Frauen verwendet. „Eigentlich wollten wir uns gar nicht impfen lassen“, gesteht die Mutter. Der Hausarzt reagierte ungehalten. In die Patientenakte der Familie schrieb er ein Wort: „Impfverweigerer.“ In einem kleinen Dorf mit lediglich 720 Einwohnern spricht sich so etwas schnell herum.

Die Familie fuhr nach Hamburg und ließ sich in Alsterdorf impfen, in einer Klinik, dem dortigen Institut für Medizin und Inklusion, deren Ärzte die Tochter kannten. „Beim ersten Mal hatten Nele und ich ordentlich Kopfschmerzen. Mein Mann hatte keine Beschwerden“, sagt Regina Hünecke. Sehr viel heftiger reagierte die junge Frau jedoch nach dem zweiten Mal. „Am Tag danach kam sie aus ihrem Zimmer und sagte, ihr sei dermaßen schlecht, sie könne nicht zur Arbeit gehen.“

Lungenentzündung und Enzephalitis

Sie bekam Fieber, übergab sich heftig. Das Infoblatt, das ihnen die Mediziner in Alsterdorf mitgegeben hatten, empfahl in solchen Fällen das Schmerzmittel Ibuprofen. „Das hat sie dann auch genommen.“ Doch der Zustand verschlechterte sich weiter, das Fieber stieg höher und höher, Nele Hünecke begann zu halluzinieren. „Da wurde uns ganz komisch zumute“, erzählt ihre Mutter.

Am Sonntagabend sackte ihre Tochter zusammen, der Notarzt überwies sie in ein Krankenhaus nach Stade. Die Eltern durften nicht in die 45 Kilometer entfernte Stadt mitfahren, wegen Corona, die Bestimmungen waren seinerzeit so. „Nachts um 2 Uhr rief uns ein Arzt an“, berichtet Regina Hünecke. „Er sagte, Neles Organe drohten zu versagen.“ Für die Eltern war das ein Schock. Es sollte nicht der letzte sein.

Nele Hünecke wurde in ein künstliches Koma versetzt. Sie entwickelte eine schwere Lungenentzündung, kämpfte um ihr Leben. Ihr Medikament gegen die Epilepsie wurde abgesetzt. Doch der Verdacht der Mediziner, das Präparat könnte für die Komplikation verantwortlich sein, bestätigte sich nicht. Ihr Zustand blieb kritisch.

Sie wurde nach Alsterdorf verlegt, wo die Entscheidung fiel, das künstliche Koma zu beenden. Kurzzeitig ging es bergauf. „Dann bekam Nele schwere Anfälle, prolongierte Anfallsserien. Sie zitterte, krampfte, die Spastiken waren furchtbar.“ Mit der Epilepsie hätten diese Anfälle nichts zu tun gehabt, davon ist Regina Hünecke überzeugt: „Dafür waren sie zu heftig. Das hatten wir so noch nicht erlebt.“

Die Tochter wurde weiter untersucht. „Sehr spät erst diagnostizierten die Ärzte schließlich eine Enzephalitis.“ Die Gehirnentzündung war mittlerweile weit fortgeschritten. „Die Markrinde war schon betroffen“, sagt Regina Hünecke. Sie hat ein MRT vom Kopf, das den Befund belegt, eine Aufnahme aus jenen Tagen und zum Vergleich sogar ein MRT, das vorher entstanden war. „Da erkennt man deutlich den Unterschied. Auf der zweiten Aufnahme sehen die Konturen des Gehirns verwaschen aus.“ Rückblickend kommt Regina Hünecke auf ein langes medizinisches Bulletin. Sie seufzt, stockt, dann zählt sie auf: insgesamt fünf beidseitige Lungenentzündungen, Zusammenbruch des Immunsystems, Wortfindungsstörungen, beeinträchtigtes Sehen. Elfmal wurde ihre Tochter in ein künstliches Koma versetzt. Sie hat mittlerweile Pflegegrad 5, die höchste Einstufung. In Berlin wird sie seit dem 17. Januar künstlich beatmet. Das Datum hat sich Regina Hünecke genau gemerkt. Sie hat das ganze Drama schriftlich festgehalten. Auch den 9. Februar, als der Luftröhrenschnitt gemacht wurde. „Eine richtige OP war das, weil viel Schilddrüsengewebe entfernt werden musste.“

Bereits seit vergangenem Oktober wird Nele Hünecke künstlich ernährt, denn sie übergab sich ständig und behielt weder Medikamente noch Flüssigkeit bei sich. „Im vergangenen Jahr war sie ungefähr zwei Monate zu Hause, sonst nur in einem Krankenhaus.“ In Berlin sind sie mittlerweile seit 16 Wochen. Am Krankenhaus Königin Elisabeth Herzberge befindet sich das Epilepsie-Zentrum Berlin-Brandenburg.

Es gab auch bessere Phasen. Dreimal war Nele Hünecke in einer Reha. „Zweimal hat das nichts gebracht. Doch eine Reha war ganz toll. Da hat Nele fast wieder laufen gelernt.“ Bis April vergangenen Jahres konnte sie immerhin noch Treppensteigen und ihren Rollstuhl selbst bewegen. Dann ging wieder der Muskeltonus verloren, Arme und Beine hingen kraftlos herab. Regina Hünecke sagt: „Es war immer ein Auf und Ab.“ Zuletzt ging es nur in eine Richtung.

Zwischenzeitlich wurde der Rest der Familie ebenfalls eingehender untersucht, um erblichen Faktoren auf die Spur zu kommen, die eine Rolle spielen könnten. „Es wurde eine Muskelbiopsie gemacht. Dabei kam heraus, dass Nele und ich eine Mitochondriopathie haben.“ Mitochondrien sind Bestandteile einer Körperzelle und fungieren als deren Kraftwerk. Bei einer Mitochondriopathie erhalten die Zellen weniger Energie, Körperfunktionen können beeinträchtigt sein. „Die Veranlagung dazu hat man von Geburt an. Nele lebte damit 27 Jahre lang ohne Probleme“, sagt Regina Hünecke. Sie ist davon überzeugt: „Der mRNA-Impfstoff hat die Entzündung des Gehirns verursacht, er hat die Mitochondriopathie getriggert.“

Die drei medizinischen Gutachten, die den Zusammenhang zwischen der Impfung mit dem Moderna-Präparat und der Enzephalitis bestätigen, befinden sich beim Anwalt der Familie. Das letzte haben sie im Januar übergeben. Die Dokumente füllen zwei Aktenordner: Atteste, Arztbriefe. Anträge. „Wir haben eine Erwerbsminderungsrente eingereicht und bewilligt bekommen, weil Nele ja nichts mehr machen kann“, sagt Regina Hünecke. „Ansonsten lassen uns die staatlichen Stellen am langen Arm verhungern.“ Egal welche Behörde sie bislang kontaktiert haben, alle erklärten sich für nicht zuständig. Regina Hünecke kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass da der Fall einer schweren Impfkomplikation möglichst geräuschlos ad acta gelegt werden soll.

56.432 Fälle schwerer Nebenwirkungen

Sollte es so sein, fände sie das ungeheuerlich. Die Familie lege es nicht auf eine Entschädigung an, das zu betonen, ist Regina Hünecke wichtig. „Wir wollen ja nicht in irgendeiner Weise davon profitieren.“ Was sie wollen, ist Aufarbeitung und Aufklärung. „Man muss endlich mal aufwachen und zugeben, dass eine mRNA-Impfung so etwas auslösen kann und vermutlich nicht nur in unserem Fall ausgelöst hat.“

Auf der Internetseite des Paul-Ehrlich-Instituts findet sich bisher kein Hinweis auf die Art von Impfnebenwirkungen, die das Leben von Nele Hünecke zerstört hat. Bis zum 31. März 2023 sind dort 56.432 gemeldete Fälle offiziell erfasst, in denen der Verdacht einer schwerwiegenden Impfkomplikation vorliegt. Das ist der aktuell verfügbare Stand. Solche Meldungen seien jedoch nicht geeignet, um einen unmittelbaren Zusammenhang mit einer Impfung herzustellen, teilt die Bundesbehörde mit: „Der Fokus der Auswertung liegt daher nicht so sehr auf den Spontanmeldungen über den Verdacht einer Nebenwirkung bzw. Impfkomplikation nach dem Infektionsschutzgesetz, sondern auf den Erkenntnissen aus internationalen Studien zum Sicherheitsprofil der Covid-19-Impfstoffe.“

Nele Hünecke nützt das nichts. Sie braucht eine wirksame Therapie gegen ihr Leiden für ein Ende ihres Leids. Sie braucht sie rasch. Bisher verlief jeder Ansatz ergebnislos. Und so bleiben die junge Patientin und ihre Mutter weiter in Berlin. Regina Hünecke hat in der Lichtenberger Klinik inzwischen kein Zimmer mehr, schläft in einem Aufenthaltsraum. „Ich bin vollkommen mit den Nerven am Ende“, berichtet sie.

Die behandelnden Mediziner sagen, es sei an der Zeit, sich auf das Schlimmste vorzubereiten. „Nele soll jetzt nur noch palliativ betreut werden.“ Alle Versuche, ein Krankenhaus in der Nähe des Dorfs Barchel zu finden, eines, das die schwer kranke Patientin aufnimmt, schlugen fehl. „Ihr Zustand ist sehr anspruchsvoll. Das überlegt sich ein Krankenhaus gut.“ An diesem Montag war immerhin jemand aus Worpswede zu Besuch in dem Lichtenberger Krankenhaus. Jemand von der Beatmungs-Wohngemeinschaft der niedersächsischen Gemeinde. „Nele soll für kurze Zeit heimatnah in diese Einrichtung kommen, damit wir zu Hause alles vorbereiten können.“ Sie wollen zurück. Sie müssen. „Nele soll noch einmal alles sehen.“

In ihrem Dorf stoßen sie auf viel Verständnis. Mehr Verständnis jedenfalls als bei den Behörden. „Letztlich“, sagt Regina Hünecke, „kämpfen wir allein mit dem Rücken zur Wand.“ Dann schweigt sie. So, als sei damit das letzte Wort gesprochen.