Krawall in mir“ heißt das autobiografische Sachbuch von Roman Shamov. Der Ost-Berliner Schauspieler und Kabarettist wuchs als Sohn einer jüdischen Mutter und eines muslimischen Vaters aus Russland auf. Seinen Platz in der Gesellschaft sieht er zwischen den Stühlen: „Ich habe immer gedacht, dass ich anders bin.“ Mit uns will der gebürtige Pankower über seine Kunst und seine Traumata sprechen. Und über seine erste Busfahrt in West-Berlin.

Wir treffen Shamov auf dem Gelände des Theaterhauses in der Neuen Jakobstraße nahe dem Märkischen Museum: ein Mann mit dicker, schwarzer Brille und gleichfarbigem, eng anliegenden Rollkragenpullover. Er strahlt und fährt sich mit der Hand durch das silberne, mittellange Haar. Hinter ihm ragt eine ehemalige Schule empor, ein klassischer DDR-Bau, dem das Theater neues Leben eingehaucht hat. Auf dem Hof wachsen wilde Pflanzen, Schmetterlinge flattern durch die Luft.

An seinem Manuskript feilt Roman Shamov seit sechs Jahren. Für ihn ist das Schreiben eine Therapie: „Als ich anfing, ging eine Tür auf und der Text schrieb mich.“ In dem Memoir begleiten die Leser Shamov durch Kapitel seines Lebens. Er arbeitete erst als Beleuchter und später auch als Schauspieler am Maxim-Gorki-Theater, spielte das Glücksschwein vom MDR, war Barkeeper im Berghain und arbeitet heute im Theater und beim Film.

In seinem Buch spricht der Mann aus Pankow über Kindheit, Jugend und Trauma in der DDR-Zeit ebenso wie über seine ersten Erfahrungen mit Drogen, Sex, Musik. Obwohl Shamov für Lesungen im deutschsprachigen Raum umherreist und auch in Berlin auftritt, fehlt noch ein Verlag. „Suhrkamp und Fischer haben sich positiv zurückgemeldet, aber es passte nicht in ihr Programm. Ich bin sehr gespannt, welcher Verlag es am Ende wird.“

Roman Shamov ist vielseitig – er arbeitet hauptberuflich als Schauspieler, spielt oft am Theater, aber auch im Kabarett. Zuletzt übernahm er Rollen bei Ades Zabels Travestie-Comedy „Edith rennt“: „Mir gefällt die Andersartigkeit der Rollen. Ich sehe mich als das Gewürz, das dazukommt.“

Während des Gesprächs laufen die Proben zu einem neuen Theaterstück, in dem er mitwirkt. Der 56-Jährige schlüpft gern in die Rolle des Bösewichts. „Das muss auch erzählt werden. Warum jemand so handelt, wie er es tut“, sagt er. Trotzdem habe er vor zwanzig Jahren eine Rolle in einem Studentenfilm rundheraus abgelehnt – die Rolle eines Vergewaltigers. „Heute würde ich mich fragen: Was treibt die Figur? Damals war mir das aber zu krass.“

Seine Mutter stammt aus einer ultraorthodoxen jüdischen Familie. Während des Zweiten Weltkriegs und der Shoah floh die Familie nach England. Nach dem Krieg kamen sie zurück nach Deutschland, zogen in den Osten. „Die Verfolgung war traumatisch. Danach gab es weiterhin Angst und das Gefühl des Besetztseins“, so Shamov. Wie ein Mantra sagten die Familienmitglieder: „Gott sei Dank leben wir nicht mehr in einem Land, in dem wir Angst haben müssen, getötet zu werden.“

Über das Erlebte wurde fast durchwegs geschwiegen. Dieses Phänomen hat einen Namen: Bei transgenerationaler Traumatisierung können Menschen mit tiefen seelischen Wunden ihre Sorgen und emotionalen Zustände an ihre Nachkommen weitergeben. Obwohl, oder gerade weil nicht darüber geredet wurde. Das Trauma wird so von Generation zu Generation weitergegeben. „Ich habe manchmal eine unerklärliche Angst, die ganz plötzlich hochkommt. Als wäre sie vererbt“, sagt er.

Seine Mutter ging nach Moskau und lernte dort einen Muslim aus Dagestan kennen, der Shamovs Vater wurde. Er erfährt von seinem Sohn, schreibt daraufhin zwei Briefe, die vom Geheimdienst KGB abgefangen wurden; für den Kontakt wurde er bestraft. Shamov wird ausschließlich von Frauen großgezogen. „Mein Männerbild war, dass die saufen und sich prügeln“, sagt er. Als er mit 35 Jahren seinen Vater Ahmed, einen angesehenen Professor, am Flughafen Schönefeld kennenlernt, legt sich ein Schalter um. „Es war von Anfang an sehr vertraut. Als kenne er mich und ich ihn tief im Inneren.“

Mit 26 outete sich Roman Shamov − vor inzwischen dreißig Jahren. Mit seinem 29 Jahre älteren Partner Norman ist er seit 2003 zusammen, 2019 heirateten die beiden. „Für uns war die Hochzeit aber keine so wichtige Angelegenheit“, sagt er. Sein Mann ist Brite, die Ehe wegen des Brexits eher eine Vorsorge. Sein Vater reagierte abweisend auf die Beziehung. Ein Eklat in einem Hotelzimmer zwischen Vater und Sohn zerrüttete das Verhältnis. „Mein Vater schämt sich bis heute dafür, wie ich lebe.“ Sie haben heute sporadischen Kontakt.

Auch Shamov erzählt davon, wie er gegen seine eigene internalisierte Homophobie ankämpfen musste. Ein Kampf gegen sich selbst: „Mit zwölf Jahren habe ich einen Beitrag gesehen über einen Mann, der sich in seinen Lehrer und seine Kameraden verliebt hat. Da habe ich aufgehorcht: Da ist was. Da wurde mir klar, dass ich das auch gefühlt habe.“ Er habe Schuldgefühle gehabt, als ob sein Körper unnütz wäre, wenn er keine Kinder zeugt.

Wie viele Berliner hat auch Roman Shamov klare Erinnerungen an das Leben in der DDR. „West-Berlin war für mich wie der Mond − sichtbar, aber unerreichbar.“ Er habe sich als Junge ein Trampolin gewünscht, mit dem er über die Mauer springen könnte. „Dass ich direkt in den Todesstreifen gehüpft wäre, wusste ich damals nicht.“

Ein Jahr, bevor die Mauer fiel, habe es ein Konzert am Reichstag gegeben: Michael Jackson, David Bowie, Pink Floyd − sie alle spielten ihre Berliner Konzerte in der Zeit des Kalten Krieges. Bei West-Konzerten in Mauernähe kam es regelmäßig zu Massenaufläufen östlich der Mauer. Die DDR-Behörden versuchten damals, das zu unterbinden. Funktioniert hat das nicht − „die Menschen sind wie Zombies zur Musik hin, zur Mauer gelaufen“. Dort hätten dann Soldaten mit Kalaschnikows gestanden, erzählt Shamov. „Und plötzlich hörte die Musik auf und alle erwachten wie aus einer Trance.“

Am Tag des 10. Novembers 1989 begriff er die neue Realität: „Schnell suchte ich die Adresse einer Freundin heraus, die in West-Berlin lebte. Dann ging es zum Übergang an der Bornholmer Straße.“ Er erzählt, dass er dem jungen Soldaten seinen aufklappbaren Ausweis schon aus der Ferne entgegenhielt. Die Finger zum Peace-Zeichen geformt, soll er gesagt haben: „Ich komme in Frieden.“ West-Berlin ließ ihn sprachlos werden: „Es war wie eine andere Welt, es sah alles bunter und gepflegter aus.“

Während Shamov erzählt, nimmt er seine Zuhörer in diese andere Welt mit. Er erinnert sich an viele Details. „Ich habe dann einen Bus gesehen und dem Fahrer gesagt, wie schön ich diesen Bus finde.“ Der Busfahrer habe ihm eine Fahrt angeboten. In dem Fahrzeug seien die Ost-Berliner klar erkennbar gewesen. „Sie waren eingeschüchtert und überwältigt von der plötzlichen Freiheit.“

Seit sieben Jahren lebt Roman Shamov im brandenburgischen Brieselang. „Ich vermisse Berlin auch nicht“, sagt er. Was fühlt er für die Hauptstadt? „Berlin kann auch eine mega hässliche Drecksstadt sein, aber sie ist mein Zuhause.“ Er ist überzeugt, dass die Menschen die Stimmung und den Charme Berlins ausmachen. „Es ist ein weltoffenes, aber gleichzeitig krasses Pflaster. Mancher Kiez ist irgendwie Ghetto, ein anderer wie ein Dorf.“

Roman Shamov liest aus „Krawall in mir“ am 31. Mai um 18 Uhr, Staakentreff, Brunsbütteler Damm 312 − freier Eintritt.