Samstag, 18. Mai 2024, Berliner Zeitung
Aufbruch der Tat
Die DDR-Verfassung brachte 1949 Freiheitsgewinn für die Frauen. Unideologisch und hartnäckig platzierten sie ihre Rechte. Die Mütter des Grundgesetzes wollten es gleichtun – und scheiterten

Maritta Tkalec
Mann und Frau sind gleichberechtigt. Alle Gesetze und Bestimmungen, die der Gleichberechtigung der Frau entgegenstehen, sind aufgehoben.“ So steht es im Artikel 7 der DDR-Verfassung vom 7. Oktober 1949. „Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“ So lautet Artikel 3 im Grundgesetz der Bundesrepublik vom 23. Mai 1949.
Der jeweils zweite Satz beschreibt völlig unterschiedliche Welten. Über Jahrzehnte galten für Frauen im Osten andere Regeln, denn die „Gesetze und Bestimmungen“, die laut DDR-Verfassung aufgehoben und bald neu gefasst wurden, kehrten uraltes Zeugs hinaus aus dem deutschen Ehe- und Familienrecht, das von 1886 stammte. Im Grundgesetz (West) wird 1949 versprochen, man werde mal sehen, was sich machen (oder verhindern) lässt. Dieses Prinzip gilt allen Ernstes bis heute, denn das „Hinwirken auf die Beseitigung bestehender Nachteile“ hat offenkundig noch kein Ende gefunden.
Auch die Chance, nach der Wiedervereinigung über eine neue, gemeinsame Verfassung zu diskutieren und diesen Diamanten aus der DDR-Verfassung zu übernehmen, stieß in der bundesrepublikanischen Politik nicht auf Interesse. An die Schwierigkeiten, wenigstens die Gleichheitsformel festzuschreiben, erinnerte dieser Tage die Bundestagspräsidentin Bärbel Bas in einem Interview über die Stimmung 1949 im Westen: Man habe „unkalkulierbare Rechtsfolgen“ befürchtet, wenn Männer nicht mehr über Beruf, Wohnort, Finanzen und Körper ihrer Frauen bestimmen könnten.
Umso interessanter ist es, wie der Geniestreich in der SBZ (Sowjetische Besatzungszone) gelang, und wer diesen grandiosen Frauenrechtsgewinn in der DDR-Verfassung verankerte. Wer waren die Mütter dieses glasklaren Gleichberechtigungsparagrafen?
Die Anfänge liegen Ende 1945. Deutschland war aufgeteilt, aber noch ein Land. Schon vor dem Entstehen neuer Parteien und vor den ersten Wahlen gründeten sich im Osten Frauenausschüsse. Am 10. November 1945 veröffentlichte diese Zeitung einen Aufruf des Zentralen Frauenausschusses der Stadt Berlin an „Frauen und Mütter Berlins“ mit einem Sechs-Punkte-Programm.
Darin heißt es: „Erschüttert stehen unzählige Familien vor den Trümmern ihres Heims. Arm ist der einzelne Hausstand, arm das ganze deutsche Volk geworden. Und die Ursache all des Unglücks ist die Raub- und Kriegspolitik der Nazipartei.“ Zu den Unterzeichnerinnen gehörten Elli Schmidt (Kommunistin), Toni Wohlgemuth (Sozialdemokratin), Hildegard Staehle (Christin), Helene Beer (Liberale).
Besonders aktiv wurden zahlreiche Frauen, die in der NS-Zeit verfolgt, inhaftiert, aus dem Untergrund oder Exil zurückgekehrt waren, Antifaschistinnen, die an die Frauenrechtsbewegung der 1920er-Jahren anknüpfen wollten. Aus einem breiten Spektrum heraus wurde am 9. März 1947 der Demokratische Frauenbund Deutschlands (DFD) gegründet; zwei Monate später hatte er mehr als eine Viertelmillion Mitglieder.
„Frauen aller Berufe, Juristinnen, Ärztinnen, Arbeiterinnen, Angestellte, Bäuerinnen, Hausfrauen, haben sich ungeachtet von Parteizugehörigkeit oder Weltanschauung vereinigt, mit dem gemeinsamen Ziel: Die Sicherung des Friedens“, so steht es am 11. Mai 1947 in der Berliner Zeitung. Den fulminanten Text mit der Überschrift „Worum es hier geht“ hatte eine der DFD-Gründerinnen geschrieben, Martha Arendsee, seit 1906 SPD-Mitglied, später in der KPD, nach NS-Haft gen Moskau emigriert, von 1949 an Vorsitzende der Sozialversicherungsanstalt Berlin.
Es ging um den Alltag
Es ging der überparteilichen Organisation darum, „die Frauen zum selbständigen Denken und Handeln zu erziehen, damit sie nicht noch einmal einer völkerverhetzenden Propaganda unterliegen“. Es gehe „nicht mehr nur um die grundsätzliche Anerkennung der Gleichberechtigung der Frau mit dem Manne“, sondern „um die praktische Verwirklichung dieser Gleichberechtigung im öffentlichen und privaten Leben, in Staat, Gesellschaft und Beruf“, kurz gesagt, „um die Förderung und den Ausbau der staatsbürgerlichen und beruflichen Bildungs- und Wirkungsmöglichkeiten für die Frauen, um die Sicherung ihrer Arbeit nach dem Grundsatz: gleicher Lohn für gleiche Arbeit“. Zudem forderten die Aktivistinnen, ein neues Familien-, Ehe- und Erbrecht in der künftigen Gesetzgebung zu verankern.
Es ging um den Alltag: „Der Demokratische Frauenbund will vor allem aber auch die Frauen befähigen, im Zusammenwirken von Elternhaus und Schule, die Kinder und Jugendlichen im Geiste der Humanität und des Fortschritts zu erziehen, und für uneingeschränkte Bildungsmöglichkeiten für alle wirklich Begabten einzutreten.“ Man werde sich den sozialen Aufgaben widmen: im Sozialwesen, bei der Fürsorge für Schwangere, Mütter und Kinder und bei der Schaffung sozialer Einrichtungen unter besonderer Berücksichtigung der berufstätigen Frauen.
Die Forderungen zielten auf das praktische Leben, nicht auf Wortklaubereien, wie „man“ oder „frau“ zu sprechen habe. Man blickte auf das ganze Deutschland und trat den Versuchen entgegen, die Gleichstellung zu torpedieren. Martha Arendsee erwähnte Kräfte, die sich an die Besatzungsmächte gewandt hätten, mit der Bitte, den DFD nicht zu genehmigen. Da fürchteten Männer gar die Gründung einer Frauenpartei, die ihre Macht einzuschränken geeignet war.
Derweil begannen hüben wie drüben die Debatten über neue Verfassungen. Die Thüringer Historikerin Grit Bühler hat die wichtigsten Erkenntnisse so zusammengefasst: „(Die) Mütter der Gleichberechtigung in der DDR. Die frauenbewegte Gründerinnenzeit des Demokratischen Frauenbundes Deutschlands (DFD) 1945 – 1949“.
Bühler schließt eine riesige Lücke. Sie zeigt die energiegeladene, auch konfliktreiche Zeit, als die DFD-Gründerinnen Fakten schufen, die in der DDR die Realität prägen sollten. Das blieb, auch über das Ende der ersten, schwungvollen, demokratischen Phase hinaus erhalten, obwohl die Regierungspartei SED das eigenständige Wirken des DFD nach 1953 drastisch einengte.
Bis heute umgeht die bundesdeutsche Geschichtserzählung den Beitrag der Frauen aus dem Osten großräumig. Unter dem Stichwort „Feminismus“ sortiert man die Geschichte der Emanzipation in zwei Phasen: eine vor dem Zweiten Weltkrieg und eine seit Alice Schwarzer in den 1970er- und 1980er-Jahren. Bühlers Forschung müsste nun in dieses System einmontiert werden – wobei offenbar ein feministisches Framing droht.
Die Pionierinnen der Frauenrechte bezeichneten sich selbst nie als feministisch. In der DDR galt der Feminismus als eine (ideologische) Strömung von mehreren in der Frauenrechtsbewegung. Ostfrauen stehen dem Begriff distanziert gegenüber, wie auch Angela Merkel, der ein Feministin-Sein aufgeschwatzt wurde. Immerhin besteht nun die Chance, den Alleinvertretungsanspruch West für die Frauenrechtsgeschichte durch den ergänzenden Baustein Ost abzubauen.
Zurück zum praktischen Wirken der Mütter der DDR-Verfassung. In der Kommission, die den Text formulierte, erwies sich eine Frau als besonders kompetent und durchsetzungsstark: Hilde Benjamin. Die 1902 Geborene hatte als eine der ersten deutschen Frauen in den 1920er-Jahren Rechtswissenschaften studiert, unter anderem in Berlin. 1928 ließ sie sich als Rechtsanwältin im Wedding nieder, 1933 erhielt sie Berufsverbot und wurde später zur Arbeit in der Konfektionsindustrie dienstverpflichtet. Ihr jüdischer Mann starb 1942 im KZ Mauthausen. In der DDR geriet sie als Vizepräsidentin des Obersten Gerichts und Justizministerin in den Ruf, partei- und staatsfeindliches Verhalten besonders hart zu verfolgen; sie verhängte zahlreiche Todesurteile.
Doch in der juristischen Kommission wirkte sie, so Bühler, effektiv im Sinne der Fixierung der Frauenrechte: Wie schon in den 1920er-Jahren sollte das Selbstbestimmungsrecht der Frau über ihren Körper in einem modernen Abtreibungsrecht festgeschrieben werden. Es ging um die Grundlagen für eine Reform des Familienrechts, des ehelichen Güterrechts, generell um das Verständnis der Ehe, um die Neuformulierung der Rechte unverheirateter Mütter und nichtehelicher Kinder. Die rechtliche Gleichstellung sollte deren wirtschaftliche und soziale Lage wesentlich verbessern.
Auf Ablehnung und Widerstand stießen die Frauen immerzu. Ein Beispiel liefert Käthe Kern, seit 1920 SPD, dann SED, kaufmännische Angestellte und politisch aktiv, 1933 inhaftiert, später weiter im Widerstand im Leuschner-Kreis vor dem 20. Juli 1944.
Wie Bühler in den historischen Quellen entdeckte, geriet Kern in der ersten Sitzung des 1946 gegründeten SED-Ausschusses, der sich mit der Ausarbeitung einer Verfassung befasste, mit dem Ausschussvorsitzenden Otto Grotewohl (erst SPD, dann SED) aneinander. Als sie hartnäckig die Aufnahme des Gleichheitsgrundsatzes in den Text verlangte, hielt der spätere Ministerpräsident ihr vor, nicht jeder könne „sein Häppchen aus dem Kuchen, das ihm besonders schmeckt, herauspflücken und Zusatz- oder Streichungsanträge stellen, durch die das große Bild verwischt wird“.
Grotewohl habe, so schlussfolgert Bühler, die Forderung der Frauen für „eine Banalität und Randnotiz“ gehalten. Da fällt einem Gerhard Schröder ein, der 1989, ganz in dieser Tradition, der promovierten Ostfrau Christine Bergmann bei deren Berufung ins Kabinett mitteilte: „Du bekommst das Ministerium ‚Familie und das andere Gedöns‘.“
Mit drei weiteren Erkenntnissen korrigiert Bühler das lückenhafte beziehungsweise absichtsvoll verzerrte Geschichtsbild.
Erstens: Der DFD entstand nicht, wie oft behauptet, auf sowjetisches Betreiben. In der UdSSR gab es keine vergleichbare Organisation. Die CDU-Frau Gabriele Strecker hatte 1951 etwa gewettert, der DFD bestehe aus „Puppen des Kreml“, die „mit russischem Öl gesalbt“ seien. Bühler stellt fest, die DFD-Frauen seien eher von französischen (Union französischer Frauen) Vorbildern geprägt gewesen. Auffallend war dann in den DDR-Jahren die Nähe zwischen französischen und DDR-deutschen Vorstellungen über Ehe und Kinder, Partnerschaft und Berufstätigkeit. Frankreich erhob das Recht auf Abtreibung kürzlich in Verfassungsrang, in einer Form, die dem DDR-Recht gleicht.
Zweitens: Die Forscherin fand keinen Hinweis darauf, dass es den DFD-Frauen vorrangig darum ging, Frauen als Arbeitskräfte für die Wirtschaft zu mobilisieren. Ostfrauen, die es gewohnt waren, mit eigenem Geld unabhängige Entscheidungen zu treffen, mussten sich nach der Wende von Westfeministinnen immer wieder anhören, das sei gar keine „echte Gleichberechtigung“ gewesen, denn: „Ihr MUSSTET ja arbeiten“.
Drittens legte Grit Bühler dar, dass sich die wenigen Mütter des BRD-Grundgesetzes von den „fortschrittlichen Verfassungsdiskussionen und -formulierungen“ der DFD-Gründerinnen inspirieren ließen. Herta Gotthelf, Frauensekretärin im SPD-Vorstand, mit Käthe Kern seit den 1920er-Jahren gut bekannt, habe die fast wörtliche Übernahme in den SPD-Verfassungsantrag forciert. Die Sozialdemokratin Elisabeth Selbert brachte sie dann in den Parlamentarischen Rat ein, allerdings ohne Erfolg.
Bühlers Fazit: „Die DFD-Gründerinnen waren die ‚Mütter‘ der Gleichberechtigungsgesetzgebung. Sie bereiteten den Weg für die Gleichberechtigung in der DDR.“ Es sei „ein Aufbruch der Tat“ gewesen. Für Ostfrauen wurde es normal, einen Beruf zu ergreifen, ökonomisch unabhängig zu sein, über den eigenen Körper selbst zu bestimmen: „Im direkten Vergleich hatte die Mehrzahl der Frauen in der DDR nach der Zäsur 1989/90 durch ihre Sozialisation tatsächlich einen Emanzipationsvorsprung gegenüber den Frauen aus der Bundesrepublik.“
Aber im Himmel der Gleichheit lebten sie nicht: Die Kluft zwischen der Theorie in Verfassung und Gesetzen und dem harten Alltag der Frauen und Männer schrumpfte auch in der DDR nur langsam. Gewohnheiten und Ansichten, die der Gleichberechtigung entgegenstehen, können nicht per Federstrich aufgehoben werden.