Total“ bedeutet aufs Ganze gehend, alle Aspekte menschlichen Daseins durchdringend. Totale Herrschaft kommt deshalb niemals durch bewusste Zustimmung der Regierten zustande. Niemand will jemals total dominiert werden, denn das würde die rückhaltlose Auslieferung an fremde Willkür bedeuten und damit ein Leben in andauernder Angst. Und kein Politiker wird je offen erklären, dass er rückhaltlose Willkür für sich und Angstterror für alle anderen einführen möchte.

Aus diesen Einsichten folgt – da wir ja Beispiele aus Geschichte und Gegenwart kennen –, dass totale Herrschaft sich in einem schrittweisen Prozess herausbildet und dass Akteure mit totalitären Ambitionen über diese stets lügen.

Daraus wiederum folgt, dass Demokraten verpflichtet sind, im politischen Raum nach Äußerungen und Praktiken Ausschau zu halten, die sich einmal zu totalitärer Herrschaft verdichten könnten. Dabei ist anzuerkennen, dass nicht jeder, der totalitäre Äußerungen macht oder andere totalitär misshandelt, deshalb eine totalitaristische Gesinnung haben muss.

Unabsichtliches Mitlaufen genügt

Im Gegenteil lehrt die Geschichte, dass totale Herrschaft immer Ergebnis einer Bewegung ist, in deren Dynamik mitlaufend und von ihr mitgerissen viele dann aus unterschiedlichen Motiven „keine roten Linien“ (Olaf Scholz) akzeptieren mögen: manche einer Ideologie wegen, andere aus Unbildung oder Konformismus. Menschen ohne klar bestimmte Motive – die keine Antwort auf die Frage „Was treibt Sie an? Warum haben Sie diesen Beruf?“ haben – bilden sogar das gefügigste Personal der „Niemandsherrschaft“ (Hannah Arendt) moderner Bürokratien. Eine ausreichend vage Idee kann lange Zeit totalitäres Handeln beseelen, ohne dass die meisten Akteure dies erkennen: „Klimaschutz“ (also: die ganze Welt so ordnen, dass das Klima stimmt), „Gesundheitssicherheit“ (also: das ganze Leben so ordnen, dass wir immer „sicher“ und „gesund“ sind) oder auch „gerechte Sprache“ (also: die ganze Sprache und alle Werke der Sprachgeschichte auf den eigenen „Gerechtigkeitsstandard“ bringen).

Alle diese Ideen sind dem Konzept totaler Herrschaft affin, weil ihr Gegenstand das ganze Leben des Menschen und der Gesellschaft berührt. Folglich wird der politischen Fantasie von diesen Ideen überall Anlass zu Regulierungsprojekten gegeben. Und für diese kann dann im Sinne der Leitidee, sagen wir großzügig, „argumentiert“ werden: „Wir müssen deinen CO2-Fußabdruck berechnen können, um Klimagerechtigkeit durch Kauflimits umzusetzen!“ – „Du darfst nur mit digitalem Gesundheitspass reisen, damit keiner mehr Krankheiten einschleppen kann!“ – „Du musst in der Sprache gendern und darfst bestimmte Bücher nicht mehr lesen, wegen der Gerechtigkeit für Minderheiten und für ... na, gegen Diskriminierung und so.“

Es ist sehr leicht, ja es kann im diskursiven Alltag unmerklich geschehen, sich in solche nicht schon an sich totalitären, aber totalitarismusaffinen Diskurse einzufädeln und dann politisch das Schicksal des Frosches zu erleiden, in dessen Becken man das Wasser langsam erhitzt: Bemerkt man, dass einem die politischen Übergriffe jetzt doch langsam zu weit gehen, so ist die Machtstruktur, die sie auf Dauer stellen und zum System erheben kann, schon etabliert.

Im politischen Raum sind Anzeichen totalitärer Politik vorhanden. Wir leben in einer „prätotalitären Atmosphäre“ (Arendt), in der auf unterschiedlichen Feldern im Namen nobler Ideen absolute Machtfülle angestrebt oder totale Unterwerfung eingefordert wird. In der Grundstimmung gegenseitigen Misstrauens werden diese Bestrebungen ebenso radikal angeklagt wie (natürlich) bestritten. Diskutieren wir hier zwei Beispiele und blicken wir zuerst in die USA: Der Republikaner Tom Emmer macht sich für ein Gesetz stark, das der Federal Reserve – einem Kartell von Privatbanken, das oft als Staatseinrichtung missverstanden wird – die Einführung eines digitalen Zentralbankgeldes verbieten soll, in dem er ein Instrument zur Überwachung und Einschränkung von Transaktionen sieht.

Emmer verweist dabei explizit auf die Regierung Chinas und ihre Praktik, digitales Geld zur Kontrolle und Bestrafung der Bürger für von ihr selbst definiertes Fehlverhalten zu benutzen. Ein digitales Zentralbankgeld (CBDC – Central Bank Digital Currency) würde alle Zahlungen zentral auswertbar machen und es mittels zentraler Programmierung zudem erlauben, ausgewählten Personen oder Gruppen den Kauf bestimmter Produkte und Dienstleistungen zu verweigern.

Digitales Zentralbankgeld ist deswegen ein probates Mittel totaler, alles durchdringender Herrschaft – denn welcher Bereich unseres Lebens wäre nicht von Kauf- und Verkaufsprozessen tangiert? Einen ersten Vorgeschmack auf die politische Attraktivität finanzieller Daumenschrauben auch im Westen bot 2022 Justin Trudeau in Kanada, als er die Konten unbotmäßiger Fernfahrer sperrte, weil sie es wagten, gegen das Corona-Regime zu demonstrieren. CBDCs gehören wegen dieser akuten Gefahr für die bürgerliche Freiheit von Demokraten überall als potenziell totalitäres Projekt gebrandmarkt und dürfen keinesfalls eingeführt werden. Unterdessen limitieren aber westliche Regierungen die Akzeptanz von Bargeld, ganz wie die von einer Koalition aus öffentlichen und privaten Geldgebern getragene Better Than Cash Alliance es empfiehlt.

Die meisten Medien vermeiden es in ihrer Berichterstattung bisher weitestgehend, kritische Fragen zu stellen, und wiederholen Standardphrasen wie die, dass man ja schließlich „Finanzkriminalität“ bekämpfen müsse und deshalb an einem digitalen Zentralbankgeld wohl irgendwie nicht vorbeikomme. Folgt man der Website der Better Than Cash Alliance, so erscheint es als Mysterium, wie die Menschheit überhaupt so lange mit Bargeld überleben konnte. Politiktheoretische Unbildung, was die „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“ angeht, lässt Machtskepsis aber gar nicht erst aufkommen. In Deutschland gab es jüngst sogar offen totalitäre Praktiken unter dem Banner des Infektionsschutzes; wir diskutieren nur eine von mehreren. Von einer Fünfparteienkoalition wurde jahrelang wie folgt argumentiert: Kinder können ein Virus übertragen, das für sie selbst ungefährlich und für manche Erwachsene etwas gefährlicher ist. Deshalb müssen Kinder jetzt psychisch und physisch belastende Praktiken strikt einhalten und sich vor Schulbesuch testen, um nachzuweisen, dass sie keine Virusteile an sich haben. Dazu sind sie verpflichtet, um Erwachsene vor Infektionen zu schützen.

Das ist totalitäre Politik: Kinder wurden als bloße Gegenstände zum Nutzen anderer verwendet. Ihr körperliches und psychisches Wohl wurde radikal und ohne Berücksichtigung ihrer Eigeninteressen einem politischen Ziel unterworfen. Das ist laut Grundgesetz (Artikel 1, Absatz 1) verboten und muss jetzt endlich von Gerichten aufgearbeitet werden. Die Fünfparteienkoalition und viele Journalisten in allen Medienmarken haben diese totalitäre Politik nicht erkannt, sie einpeitschend willkommen geheißen oder aber peinlich geschwiegen.

„Was die Ratten in der Zeit der Pest waren, sind Kinder zurzeit für Covid-19: Wirtstiere“, konstatierte Jan Böhmermann im Januar 2022. Karin Prien (CDU) sah die konzertierte Missachtung der Menschenwürde von Kindern überhaupt nicht, wenn sie Ungeimpften am 17.11.2021 ins Stammbuch schrieb, dass sie „Verantwortung und Schuld für das Leid von Kindern“ tragen würden, denen „diese Pandemie das Leben schwer macht“ (Pressemitteilung). „Wir sollten weiterhin regelmäßig testen und bei der Maskenpflicht bleiben, auch wenn das lästig ist“, sagte Saskia Esken (SPD) am 22.11.2021, als wäre Mimik-Abstellung und stundenlang gehemmtes Atmen eine Bagatelle für Kinder. Es waren die totalitären Eingriffe in Körper und Psyche durch eine Fünfparteienkoalition, die den Kindern „das Leben schwer gemacht“ und erhöhte Raten von Entwicklungsstörungen, Fettleibigkeit, Depressionen und Suiziden bewirkt haben.

Anstatt „Totalitarismus“ als haltlos-böswilligen Vorwurf pauschal zurückzuweisen und Einlassungen von Politikern oder Wissenschaftlern mit eindeutig totalitärem Potenzial „zurechtzurelativieren“, wie Martin Rücker es hier jüngst tat, sollten Intellektuelle ganz anders agieren: Die Rechtfertigungslast liegt bei rhetorischen Hasardeuren wie Christian Drosten, der auf einer Podiumsdiskussion auf dem in Berlin abgehaltenen World Health Summit forderte, „die Institutionen der Wissenschaft“ dafür sorgen zu lassen, dass „nicht jeder, der irgendeinen akademischen Abschluss hat, mitten in der Pandemie über den Kern des Problems spricht“. Das dürften nur „wirkliche“ Experten.

Das ist eine Aufforderung, in Krisen die Verkündigung zentral von irgendwem für gültig erklärten Wissens im Namen „der Wissenschaft“ einzuführen. Das ist die Forderung nach einem Wahrheitsministerium, denn irgendjemand muss entscheiden, wer die richtigen Experten sind und was als der verbindliche Stand der Wissenschaft gelten soll. Es ist die Aufgabe freiheitlicher Intellektueller (und gibt es eigentlich andere?), jeden Diskutanten, der die Freiheit der Rede in Wissenschaft und Gesellschaft unter irgendwelche Vorbehalte stellen will, deutlich an die Grundlagen der offenen Gesellschaft und die direkte Geltung der Grundrechte in jeder Situation zu erinnern. Klare Kante in dieser Frage war für Liberale – egal, ob sie sich links, mittig, oder konservativ verorten – niemals so dringlich wie heute.

Erinnern wir uns doch nur an die jüngste Vergangenheit: Die Zensur von breiten Teilen des ganz normalen wissenschaftlichen Diskurses durch die großen Tech-Plattformen in enger Zusammenarbeit auch mit westlichen Regierungen betraf zum Beispiel viele Vertreter der „Great Barrington Declaration“. Diese staatlich-private Zensurpartnerschaft ist in zahlreichen öffentlichen Anhörungen der Parlamente freier Staaten und durch zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen längst zum unbestreitbaren Faktum geworden.

Wissenschaftler mit ihren Regierungen missliebigen Anmerkungen zur Corona-Politik wurden schlicht staatlich gemobbt und aus ihren Berufen oder Professuren entfernt. Diese Zensur war Teil des globalen Pandemie-Albtraums und wurde schon damals als „Bekämpfung von Falschinformation“ bezeichnet, wo immer sie ruchbar wurde oder aufflog.

Es gab also das von Rücker angesprochene „Wahrheitsministerium“ schon, und der im August dieses Jahres in Kraft getretene Digital Services Act etablierte in Europa ganz offiziell ein differenziertes Meinungsraum-Gestaltungsprogramm, um – was sonst? – „Falschinformationen“ abzuwehren.

Die Corona-Falschinformationen von damals sind heute jedoch weitenteils als höchst plausibel erkannt oder gar als wahr erwiesen. Pfizer/Biontech haben zum Beispiel vor dem Covid-19-Ausschuss des EU-Parlaments eingeräumt, dass ihr mRNA-Präparat, das als „Impfung“ bezeichnet wird und milliardenfach verabreicht wurde, gar nicht auf Übertragungshemmung getestet wurde. Auch ist prinzipiell klar geworden, dass die von den Gentherapeutika im Körper angeregte Produktion von Spike-Proteinen mit negativen Gesundheitsfolgen in Körpergeweben weit jenseits der Injektionsstelle und für lange Zeiträume passieren kann.

In dieser Zeitung wurde ausführlich berichtet und zum Beispiel von Jörg Matysik, Professor für Analytische Chemie der Universität Leipzig, dargelegt, dass die mRNA-Präparate in ihrer Reinheit beziehungsweise in ihrem Verschmutzungsgrad enorm schwanken. Das passt zu den ebenfalls belegten Schwankungen der gemeldeten Nebenwirkungsraten je nach Produktionscharge der mRNA-Präparate.

Die 2G/3G-Regimes beruhten folglich von Anfang an auf Falschinformationen, die Gefahr von Nebenwirkungen wurde lange Zeit nicht nur von Karl Lauterbach heruntergespielt, der 2021 auf Twitter von einer „nebenwirkungsfreien Impfung“ schrieb und Andersmeinende der „schäbigen Desinformation“ bezichtigte. Solche Falschinformationen wurden von „Faktencheckern“ und machtunkritischen Journalisten lange Zeit als „Stand der Wissenschaft“ verkauft.

Beschämende Narrativhörigkeit

Drosten steht mit seinen jüngsten Berliner Überlegungen in dieser Tradition des Betrugs der Öffentlichkeit durch konzertierte Einschränkung der freien Meinungsäußerung und des Forschungsdiskurses sowie einer nicht nur im Rückblick beschämenden Narrativhörigkeit weiter Teile des Journalismus. Wer wie Drosten meint, die Zensur des freien Ausdrucks könnte in offenen Gesellschaften doch ruhig irgendwie mal konstruktiv andiskutiert werden, der muss deshalb entschieden Kontra bekommen – und man sollte ihm nicht wie Martin Rücker entlastungsakrobatische Essays hinterherschreiben.

Ein unzensierter wissenschaftlicher Diskurs mitsamt seiner angstfreien Rezeption in der allgemeinen Presse hätte die Chance geboten, die 2G/3G-Regimes und die Massenanwendung neuartiger Präparate mit inkonsistenter Produktionsqualität zu verhindern. Viel soziales Elend und viele Tote wären uns so erspart geblieben. Zensur ist hochgefährlich und darf nicht durch Umetikettierung auf „Kampf gegen Fake News oder Falschinformation“ verharmlost werden.

Wir Deutsche, die Erben gleich zweier totalitärer Systeme und einer genozidalen Kolonialpolitik, sind offenbar noch längst nicht „woke“ (wach) genug, was die totalitären Tendenzen unserer Gegenwart angeht.

Die Berliner Zeitung setzt sich für eine Aufarbeitung der Corona-Politik und eine offene Debatte ein, für eine kritische Analyse falscher und richtiger Entscheidungen während der Pandemie. Der vorliegende Essay stammt von Michael Andrick, promovierter Philosoph sowie freier Mitarbeiter und Kolumnist der Berliner Zeitung. Der Text ist als Antwort gedacht auf den Kommentar „Warum Christian Drosten kein ‚Wahrheitsministerium‘ fordert“ von Martin Rücker, der am 14. November in der Berliner Zeitung erschien. Im Februar 2024 erscheint Michael Andricks neues Buch „Im Moralgefängnis – Spaltung verstehen und überwinden“.