Dienstag, 24. Dezember 2024, Berliner Zeitung
Aus für das Fassgold in Weißensee
Der Feinkostladen muss schließen. Die Kunden sehen in der Verkehrsberuhigung den Grund
Katharina Heflik
Im Feinkostladen Fassgold Berlin ist an diesem Dienstag voller Betrieb. „Die haben wohl alle die Nachrichten gehört und wollen schnell noch mal vorbeischauen“, sagt Inhaberin Ricarda Strehlow.
Die Kundinnen und Kunden suchen nach Ölen, wollen sich von Strehlow beraten lassen oder treffen sich zum regelmäßigen Kaffeetrinken. Trotz der großen Kundschaft an diesem Vormittag muss der Laden an der Berliner Allee nach 16 Jahren schließen. Schuld daran, davon ist die Inhaberin überzeugt, sei der Kiezblock im Komponistenviertel des Bezirks Pankow, an dessen Grenze ihr Laden liegt.
Strehlow hat grundsätzlich nichts gegen Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung. Ganz im Gegenteil. „Die Idee ist toll, dass der Verkehr aus den Wohnblocks rauskommt“, sagt Strehlow. „Leider ist die Umsetzung nicht so schön gewesen.“ Denn Strehlow und die anderen Gewerbetreibenden im Kiez sind auf die Kundschaft angewiesen, die mit dem Auto kommt. Vor allem die Smetanastraße, so Strehlow, sei eine Herausforderung.
Wichtiger Begegnungsort
Im Zuge der Maßnahmen wurde die Straße, die auf die Berliner Allee führt, zur Einbahnstraße. Auch die Querstraßen, die auf die Smetanastraße führen, sind nur noch in eine Richtung befahrbar. Damit dürfen Autofahrer nicht mehr von der Smetanastraße aus in den Kiez hineinfahren, sondern nur durch ihn hindurch. Wer von der Berliner Allee aus kommt, muss das Komponistenviertel zuerst am äußeren Rand umfahren, um hineinfahren zu können.
Für die Gewerbetreibenden sei das nach der Einrichtung 2023 schnell zum Problem geworden. Strehlow will den Rückgang der Kundschaft ab Tag eins bemerkt haben. „Ich stand hier und denke mir, puh 200 Euro in der Kasse, das ist ja komisch.“ Nach einer Woche meldeten sich andere Gewerbetreibende mit dem gleichen Problem.
Strehlow fing daraufhin an, genauer darauf zu achten, welche ihrer Kundinnen und Kunden weiterhin kamen. Dann kam der erste Anruf einer Kundin, die sonst im Monat mehrere Hundert Euro in dem Geschäft ausgegeben hätte: „Ricarda, ich versuche zu dir zu kommen, aber es gelingt mir nicht.“ Strehlow erzählt von einigen Anrufen dieser Art. Auch größere Kunden hätten ihre Bestellungen abgesagt, weil sie keine Parkplätze finden können, um Kartons zu transportieren.
Im September 2023 suchten Strehlow und 22 weitere Gewerbetreibende der Nachbarschaft das Gespräch mit Cornelius Bechtler (Grüne), Bezirksstadtrat für Stadtentwicklung und Bürgerdienste. Doch das sei erfolglos geblieben. Auch ein Gespräch mit der Grünen-Bezirksbürgermeisterin Cordelia Koch habe keine Besserung herbeigeführt.
Im Januar 2024 schloss ein Weinladen, es folgten weitere Läden. Im Herbst stand dann auch der Entschluss von Strehlow fest. „Ich musste mich entscheiden, um nicht in zwei oder drei Jahren sagen zu müssen: ‚Hättest du mal zugemacht, jetzt bist du hier dick im Minus‘.“ Als Strehlow das Ende ihres Ladens im Dezember auf Facebook teilt, sammeln sich unter dem Beitrag Kommentare der Enttäuschung und Beileidsbekundungen. Es sei „unglaublich traurig“, schreiben einige Nutzer. Viele danken Strehlow für ihren Einsatz und schreiben, dass sie den Laden und seine Besitzerin vermissen werden.
Die Menschen in Weißensee verlieren nicht nur eine Einkaufsmöglichkeit, sondern auch einen Begegnungsort. Strehlow kennt die Menschen im Kiez, ihre Stammkunden, zu denen auch Margit und Dietmar Waleska, Eva Storr und Katrin Skerra gehören. Am Dienstagvormittag erzählen sie: „Zu Lesungen, zu Tastings, zum Bratwurstgrillen – wir waren sehr oft hier.“ Dietmar Waleska sagt: „Es ist das einzige niveauvolle Ambiente, wo wir sagen, hier kann man sich mal treffen, hier kann man einkaufen und sich wohlfühlen.“
Die Schließung des Fassgolds ist für sie ein großer Verlust. „Dank an die Grünen – wegen des Kiezblocks“, sagt Skerra. Die Maßnahme zur Verkehrsberuhigung frustriert die Kundschaft. Es sei dabei nicht miteinbezogen worden, wer in der Nachbarschaft lebe. Es handle sich vor allem um Menschen im Rentenalter, die auf Autos angewiesen seien. „Aus meiner Sicht ist der Fahrradverkehr in Weißensee nicht besonders. Da hätte man keine Rücksicht drauf nehmen müssen“, so Skerra. Sie berichtet, dass Taxis nicht mehr in das Viertel fahren würden.
„Besuch bekomme ich auch keinen mehr“, sagt die 79-jährige Eva Storr, „weil keiner weiß, wie man zu mir kommt.“ Man sei vor vollendete Tatsachen gestellt worden. „Wir haben erst davon gehört, als es schon beschlossen war.“
In einer Umfrage der TU Dresden und der TU Berlin von November 2023 spiegelt sich die Unzufriedenheit der Fassgold-Gäste nur bedingt wider. Laut Umfrage nehmen mehr als die Hälfte der 587 Befragten den Kiezblock als eher positiv oder sehr positiv wahr. Darauf verweist auch Bezirksstadtrat Bechtler auf Nachfrage der Berliner Zeitung. Insoweit sei der Kiezblock hinsichtlich der gesteckten Ziele erfolgreich: Durch den reduzierten Verkehr sei die Verkehrssicherheit erhöht, der Lärm reduziert worden, auch die Luftqualität habe sich verbessert.
Austausch über Neuigkeiten
Die „grundsätzliche Erreichbarkeit von Zielen ist auf jeden Fall gesichert“, teilt Bechtler mit. Probleme sehe man vor allem bei Verstößen gegen die Einbahnregelungen. Um dagegen vorzugehen, so Bechtler, wolle man Poller aufstellen. Allerdings fehlten aufgrund der Haushaltssperre dazu aktuell die notwendigen Mittel.
„Wir haben den Eindruck, Weißensee wird abgehangen vom Bezirk“, so Storr. Die 79-Jährige hat das Gefühl, in Prenzlauer Berg und Pankow laufe vieles besser als in ihrer Nachbarschaft. Strehlow selbst lebt nicht im Kiez, sei aber eng integriert. Die Menschen kämen zu ihr, um sich über Neuigkeiten aus der Nachbarschaft auszutauschen. Viele ihrer Kunden spricht sie mit Vornamen an, man kennt sich seit Jahren.
Nun steht für Strehlow der letzten Tag in ihrem Laden bevor. „Jetzt kommen alle noch mal und holen Vorräte“, darüber freut sie sich. Es gehört aber auch dazu, dass Kundinnen und Kunden immer wieder von der Schließung erzählen zu müssen.
Einen neuen Laden will sie vorerst nicht eröffnen.