Dienstag, 25. Juni 2024, Berliner Zeitung
Poet mit der Kamera
Der Berliner Fotograf und Verleger Hansgert Lambers ist gestorben. Seinen Nachlass gab er nach Dresden
Ingeborg Ruthe
Für Freunde der Fotografie sind seine zahllosen Aufnahmen aus mehr als 70 Jahren „Momente aus einer verschwindenden Zeit“. Hansgert Lambers fotografierte mit seiner Leica – immer in Schwarz-weiß und oft mit dem Weitwinkelobjektiv – sensibel, zugewandt und im Alltag, ohne die Fotografierten jemals vorzuführen.
Er suchte und fand seine Motive hier in Berlin, zuerst im Westteil, in den er fürs Studium zum Wirtschaftsingenieur an der Technischen Universität aus Niedersachsen in den 1950er Jahren gekommen war. Er reiste nach London und Paris, hielt dort das Straßenleben fest. Und er fuhr mit der S-Bahn via Friedrichstraße nach Ost-Berlin, oft auch in Städte weiter im Osten Europas: Land und Leute, Gebäude, die Spuren menschlichen Lebens.
Er porträtierte zudem Freunde, Weggefährten, Gleichgesinnte wie den Ost-Berliner Fotografen Arno Fischer. Fotokenner Matthias Reichel, der im Sommer 2022 die unvergessliche Lambers-Ausstellung „Verweilter Augenblick“ im Haus am Kleistpark kuratierte, sagte, diese Bilder ließen „eine menschliche Nähe und Vertrautheit zu einer aussterbenden Kultur- und Kunstszene erkennen“.
Nun kam die Nachricht, dass der 1937 in Hannover geborene Lambers am vergangenen Sonntag in Berlin gestorben ist. Viele kannten ihn vor allem als (ehrenamtlichen) Verleger, seine unter „ex pose“ erschienenen Fotobände anderer Fotografen.
Eigene Fotos verlegte er nur zu Teilen, das meiste blieb unveröffentlicht. Finanzieren konnte er das kaum; er verdiente seinen Lebensunterhalt und das Geld für seine Leidenschaft bis zur Rente bei der Computerfirma IBM, reiste als Experte für Software und Großrechneranlagen auch oft nach Osteuropa, vor allem nach Prag, Ostrava oder Brno, und beobachtete mit seiner Kamera nebenher die Menschen. So wurde er zu einem wichtigen Protagonisten der zeitgenössischen Autorenfotografie.
Lambers, über den Matthias Leupold vor zwei Jahren einen Dokumentarfilm drehte, sah sich selbst freilich „nur als Amateur“ des geliebten Mediums, schuf aber mit dieser bescheidenen Selbstsicht und wie nebenbei ein authentisches, ja geradezu philosophisches Lebenswerk. Da sind Straßen- und Stadtaufnahmen aus den 1950er Jahren bis in die Gegenwart: Leute, die durch Ruinen zur Arbeit gehen, ihr Bier nach der Schicht in der Eckkneipe trinken, Schlitten fahrende Kinder in Kriegsbrachen vor kahlen Brandmauern, Kohleträger.
Und sichtbar sind die Veränderungen: der Wiederaufbau nach dem Krieg, der unübersehbar wachsende Wohlstand der Wirtschaftswunderzeit, auch der Kontrast zur Lebenswelt der Menschen im Osten. All das ist getragen von der „Conditio humana“, der „Family of Man“-Fotografie, wie der große Fotograf Edward Steichen sie in die Welt gebracht hat.
Sein fotografisches Lebenswerk hat Hansgert Lambers noch zu Lebzeiten keiner der übersättigten Berliner Foto-Institutionen vermacht, sondern der am meisten daran interessierten Dresdner Fotothek der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek.