Warum können sich Armenien und Aserbaidschan immer noch nicht auf einen allumfassenden Friedensvertrag einigen? Und wie kann eine dauerhafte Lösung zwischen Jerewan und Baku aussehen? Die Berliner Zeitung konnte am Rande des Internationalen Medienforums von Schuscha mit Hikmet Hadschijew, dem außenpolitischen Berater des aserbaidschanischen Präsidenten Ilham Alijew, sprechen.


Herr Hadschijew, warum können sich Armenien und Aserbaidschan immer noch nicht auf einen Friedensvertrag einigen?

Manchmal haben Länder einen Friedensvertrag auf dem Papier, aber keinen wirklichen Frieden vor Ort. Im Fall des Südkaukasus ist es umgekehrt. Wir haben einen realen Frieden vor Ort – militärische Konfrontationen oder Eskalationen stehen nicht mehr auf der Tagesordnung zwischen Armenien und Aserbaidschan. Es gibt noch einige Streitpunkte, aber das ist völlig normal. Genau dafür gibt es Diplomatie und Dialog.

Wir sind bereit, Frieden zu schließen und die gesamte Region zu transformieren. Der Text des Friedensvertrages, der in Baku entworfen und der armenischen Seite vorgelegt wurde, ist bereits weitgehend abgestimmt. Das ist doch schon einmal sehr gut.


Aber es gibt noch einige Schritte, die gegangen werden müssen.

Es gibt gewisse Details, die noch geklärt werden müssen. Zunächst enthält die Verfassung der Republik Armenien Ansprüche auf aserbaidschanisches Territorium. Jede Verfassung ist eine innere Angelegenheit eines Landes – es sei denn, sie enthält den Namen eines anderen Landes oder einer bestimmten Region eines anderen Landes. Wir möchten diesen Friedensvertrag nicht nur mit der armenischen Regierung unterzeichnen, sondern auch mit dem armenischen Volk. Wir möchten sehen, dass das armenische Volk durch entsprechende Verfassungsänderungen allen territorialen Ansprüchen gegenüber Aserbaidschan ein Ende setzt.


Aber es geht doch nicht nur um die armenische Verfassung?

Sobald das erledigt ist, denke ich, wird es keine weiteren Hürden oder Hindernisse auf unserem Weg zum Frieden geben. Außerdem möchten wir die OSZE-Minsk-Gruppe auf dem Müllhaufen der Geschichte sehen. Sie war ein diplomatisches Fiasko und ein völliges Versagen. Dreißig Jahre lang führte die Minsk-Gruppe diese gescheiterte Mission durch, ohne eine echte Perspektive zur Lösung des Konflikts zu haben. Wir sind dem Frieden sehr nahe, zumindest haben wir Frieden vor Ort.


Sind mögliche Reparationszahlungen von armenischer Seite ein Thema in den Gesprächen?

Derzeit ist das kein Bestandteil der bilateralen Verhandlungen zwischen Armenien und Aserbaidschan. Nichtsdestotrotz hat Aserbaidschan eine ordnungsgemäße Bewertung aller Schäden durchgeführt. Wir sprechen hier über staatliche Verantwortung, denn Armenien hat in eklatanter Weise das Völkerrecht verletzt, hat 30 Jahre lang Gewalt gegen Aserbaidschan angewandt, aserbaidschanisches Territorium besetzt gehalten und die Forderungen der Resolutionen des UN-Sicherheitsrates nie umgesetzt.

Während der Besatzung hat Armenien aserbaidschanische Städte und Dörfer vollständig zerstört. Seit der Befreiung unserer Gebiete haben wir auf Grundlage einer von den Vereinten Nationen angewandten Methodik eine umfassende Bewertung durchgeführt. Laut dieser Schätzung belaufen sich die Schäden auf rund 150 Milliarden US-Dollar.


Eine der größten Herausforderungen wird sein, Aserbaidschaner zu überzeugen, dauerhaft nach Karabach zurückzukehren. Wie soll das gehen?

Ich würde nicht sagen, dass das eine Herausforderung ist, denn das aserbaidschanische Volk ist von Natur aus sehr stark mit seinem Land verbunden. Wir haben immer davon geträumt, in unsere Häuser zurückzukehren.

Unser Ansatz ist es, eine Rückkehr in einer würdevollen und sicheren Weise zu gewährleisten. Wie Sie sehen können, ist die gesamte Karabach-Region eine große Baustelle. Derzeit leben, arbeiten und studieren immerhin mehr als 50.000 Aserbaidschaner in Karabach und der östlichen Sangesur-Region.


Armenier, die seit Generationen in Karabach gelebt haben, möchten zurückkehren. Wäre es nicht eines der größten Friedensprojekte unserer Zeit, wenn die politische Führung in Baku den Armeniern die Rückkehr nach Karabach ermöglichen würde?

Zunächst einmal: Wir haben die Armenier nicht aus Karabach vertrieben. Sie haben selbst entschieden, zu gehen. Zweitens hat Aserbaidschan ein sehr umfassendes Reintegrationsmodell entwickelt. Aber die Armenier haben sich geweigert, Teil dieses Modells zu sein.

Was bedeutet das? Es bedeutet, die Staatsbürgerschaft Aserbaidschans anzunehmen, loyale Bürger Aserbaidschans zu sein und unter der Verfassung und den Gesetzen der Republik Aserbaidschan zu leben. Das ist in jedem Land ganz normal. Aserbaidschan kann sich auf seinem souveränen Territorium keinen Zick-Zack-Kurs mehr leisten. Das ist vorbei. Wer als Bürger Aserbaidschans leben möchte, für den gibt es dafür entsprechende Verfahren.


Etwa 120.000 Armenier wurden nach dem Krieg 2023 aus Karabach vertrieben – im Grunde die gesamte Bevölkerung. Im Westen spricht man von einer ethnischen Säuberung.

Schauen Sie, das freiwillige Abwandern der Karabach-Armenier kann in keiner Weise als ethnische Säuberung bezeichnet werden. Aber wenn wir vom „Recht auf Rückkehr“ sprechen, dann lassen Sie uns über die Aserbaidschaner sprechen, die jahrzehntelang in Armenien lebten und gewaltsam aus Armenien vertrieben wurden.

Das Recht auf Rückkehr ist ein heiß diskutiertes Thema – zum Beispiel in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. Das Recht auf Rückkehr ist Teil der Menschenrechte und sollte auch für die 250.000 Aserbaidschaner gelten, die aus Armenien vertrieben wurden. Nun meine Frage: Haben sie auch Anspruch auf dieses Rückkehrrecht? Ganz sicher ja! Aber Jerewan weigert sich, darüber auch nur zu sprechen.


Wenn man mit älteren Armeniern oder Aserbaidschanern spricht, die noch in der Sowjetunion aufgewachsen sind, hört man oft, dass sie sich Frieden wünschen. Im Gegensatz dazu glaubt die jüngere Generation in beiden Ländern nicht an einen dauerhaften Frieden. Warum ist Hass bei Teilen der Jugend so groß?

Wir müssen sehr realistisch sein. Die ethnische Versöhnung ist einer der schwierigsten Aspekte jeder Nachkriegssituation. Schauen Sie auf den Balkan – mehr als 30 Jahre sind seit den Kriegen der 1990er-Jahre vergangen, und eine vollständige ethnische Versöhnung ist dort immer noch nicht erreicht. Es braucht Zeit. Einige Wunden des Krieges sind für uns noch sehr frisch. Schauen Sie sich Aghdam an, das vollständig ausgelöscht wurde.


Vor allem die Jugend auf beiden Seiten scheint kein Interesse an einem langfristigen Friedensprozess zu haben. Wie kann man das überwinden?

Wir müssen sehr wachsam gegenüber der neuen Welle des Revanchismus in der armenischen Gesellschaft sein. Wir sehen, dass es bereits neue Versuche gibt, den neuen Status quo in unserer Region infrage zu stellen. Wir sehen Tendenzen, die neuen Realitäten zu untergraben, und wie die armenische Jugend für neue Konfrontationen und Kriege indoktriniert wird. Das ist völlig inakzeptabel.

Daher sollte sich die armenische Regierung jetzt auf ihre eigene Gesellschaft konzentrieren. Ich glaube, dass die Verfassungsänderung ein wichtiger Schritt sein wird, um all dem ein Ende zu setzen.


Sprechen wir über die jüngsten Verhandlungen in Abu Dhabi. In welcher Sprache haben Sie mit Ihren Kollegen aus Jerewan kommuniziert?

Manchmal auf Englisch, manchmal auf Russisch.


Beide Seiten beschreiben den Dialog als konstruktiv. Haben Sie dafür konkrete Beispiele?

Ein konstruktiver Aspekt ist, dass der gesamte Friedensprozess nun in unseren eigenen Händen liegt. Nur Armenien und Aserbaidschan entscheiden – keine Russen, keine Europäische Union, keine USA. Nur Armenier und Aserbaidschaner saßen im Raum. Wir hatten einen zivilisierten Dialog. Wir brauchen niemanden, der uns beibringt, wie wir in Frieden zu leben haben oder miteinander koexistieren sollen. Wir hatten überaus gute Gespräche – auch wenn wir weiterhin keine diplomatischen Beziehungen haben.


Und doch wirkt es aus der Ferne so, als sei der Friedensprozess ins Stocken geraten.

Wir warten auf die Verfassungsänderung in Armenien. Wir agieren auch nicht in irgendeinem diplomatischen Vakuum. Es gibt auch Präzedenzfälle.


Welchen Fall nehmen Sie als Vorbild?

Schauen Sie auf das Karfreitagsabkommen von 1998 zwischen dem Vereinigten Königreich und der Republik Irland. Auch dort waren Verfassungsänderungen in Irland notwendig, weil die irische Verfassung Ansprüche auf Nordirland enthielt.


Ein weiteres Thema ist der sogenannte Sangesur-Korridor. Würden Sie es begrüßen, wenn private amerikanische Unternehmen die Kontrolle über dieses armenisch-aserbaidschanische Projekt übernehmen?

Wie Präsident Ilham Alijew sagte: Das ist eine Frage für die armenische Seite. Was auch immer dort diskutiert wird, wir wissen es nicht. Wenn sie mit US-Unternehmen zusammenarbeiten, ist das ihre Sache. In der Zwischenzeit machen wir unsere Hausaufgaben. Wir bauen unsere Transportanbindungen aus und nehmen Kontakt zu allen unseren Nachbarn auf – zu Georgien, dem Iran und Russland. Im Allgemeinen würden solche Verbindungen der gesamten Region zugutekommen. Wenn Armenien dazu bereit ist, würden wir gerne gemeinsam einen transkaukasischen Transportkorridor entwickeln.


Was können Präsident Wolodymyr Selenskyj und Kremlchef Wladimir Putin von Armenien und Aserbaidschan lernen?

Das ist eine sehr schwierige Frage. Ich würde hier gerne die diplomatische Etikette wahren. Ich kann nur die Erfahrung Aserbaidschans teilen: Unsere Politik war es über Jahre hinweg, die Erfahrungen anderer Länder zu studieren. Es ist immer wichtig, aus den Fehlern anderer zu lernen.

Wir haben uns nie mit der Besatzung abgefunden und stets die Umsetzung der Resolutionen des UN-Sicherheitsrats gefordert. Ich denke, Aserbaidschan hat einen Präzedenzfall und ein Modell für Konfliktlösung geschaffen. Kürzlich räumte Ministerpräsident Paschinjan ein, dass er bedauert, 2022 nicht die territoriale Integrität Aserbaidschans anerkannt zu haben. Hätte Armenien diese Realitäten früher verstanden, hätten wir den Konflikt früher beilegen können. Aber das liegt nun in der Vergangenheit.


Sie haben gute Kontakte sowohl nach Kiew als auch nach Moskau. Warum finden die russisch-ukrainischen Friedensgespräche in Istanbul statt und nicht in Baku?

Wenn unsere Freunde und Partner sich in Baku treffen wollen, sind sie herzlich willkommen. Baku ist bereits die diplomatische Hauptstadt der gesamten Kaspischen Region. Verhandlungen zwischen der Türkei und Israel fanden hier statt. Syrien und Israel haben ebenfalls in Baku verhandelt. Schon früher gab es hier strategische Gespräche zwischen Russland und den USA über Raketenabwehrsysteme, auch Nato-Russland-Gespräche. Viele andere stille diplomatische Aktivitäten fanden zuletzt in Baku statt. Jeder ist willkommen, aber wir können niemanden zwingen. Man muss auf uns zukommen.


Russland ist traditionell einflussreich in der Region. Doch die geopolitische Schwäche des Kreml durch den Ukrainekrieg ist offensichtlich. Zudem ist das aserbaidschanisch-russische Verhältnis aktuell stark angespannt. Nur ein kurzfristiges Drama, oder sehen wir einen fundamentalen Wandel?

Ich würde das keinen grundlegenden Wandel nennen. Es gab ein Missverständnis und erhöhte Spannungen in den bilateralen Beziehungen. Solche Fälle können zwischen Nachbarländern immer wieder vorkommen. Alles begann mit dem Flugzeugabsturz, der die aserbaidschanische Gesellschaft tief getroffen hat. Dieser ereignete sich auf russischem Territorium, im russischen Luftraum, und wir wissen, wie es passiert ist – das ist kein Geheimnis mehr. Als Nachbar und Partner erwartet Aserbaidschan von Russland, dass es Verantwortung übernimmt und für Gerechtigkeit in diesem Fall sorgt.


Aserbaidschan pflegt gute Beziehungen zu Israel, ist aber auch Nachbar des Iran, der wiederum eng mit Armenien kooperiert. Wie ist die offizielle Position Bakus zum Konflikt zwischen Iran und Israel?

Zunächst einmal ist die geopolitische Lage Aserbaidschans derzeit sehr sensibel. Ein Nachbar – Russland – ist im Krieg in der Ukraine verwickelt und stark sanktioniert. Auf der anderen Seite führten Israel und der Iran einen Krieg. Der Iran, unser zweiter großer Nachbar, ist im Übrigen ebenso stark sanktioniert wie Russland.


Keine einfache geostrategische Lage.

Unter diesen Umständen ist Aserbaidschan eine Insel der Sicherheit und Stabilität. Wir haben offene Kommunikationskanäle und gute Beziehungen sowohl zu Israel als auch zum Iran. Das basiert auf unserer diplomatischen Philosophie: Offenheit, Transparenz und Berechenbarkeit. Gleichzeitig schauen wir auf die nationalen Interessen unserer Nachbarn und versuchen, ihre legitimen Sicherheitsbedenken zu verstehen.


Kommen wir zu den Beziehungen zu Deutschland. Warum ist Berlin derzeit ein so irrelevanter geopolitischer Akteur? Deutschland spielt weder im Südkaukasus noch in der Ukraine, im Nahen Osten, in Südasien oder in Afrika eine bedeutende Rolle.

Ich würde nicht sagen, dass Deutschland so irrelevant ist. Deutschland genießt in der Region hohes Ansehen. Präsident Steinmeier war kürzlich in Baku – er wird in Aserbaidschan sehr respektiert. Aber ich stimme zu, dass Deutschland mehr tun könnte, nicht nur in der Friedenspolitik, sondern vor allem bei der wirtschaftspolitischen Transformation des Südkaukasus. Deutschland ist eine Wirtschaftsmacht der EU und eine führende globale Volkswirtschaft. Wir erwarten, dass deutsche Unternehmen aktiver werden.


Deutschland und die EU kritisieren regelmäßig die Menschenrechtslage in Aserbaidschan. Im Pressefreiheitsindex von Reporter ohne Grenzen liegt Aserbaidschan auf Platz 168 von 180. Wie wollen Sie das verbessern?

Leider haben bestimmte europäische Leitmedien, darunter auch die deutsche Presse, eine orchestrierte Propagandakampagne gegen Aserbaidschan geführt. Aber schauen wir auf die neuen Realitäten. Die Trump-Administration in den USA hat viele verdeckte Operationen von USAID aufgedeckt, die mit den vorherigen US-Regierungen verbunden waren. USAID ging es im Südkaukasus nie um humanitäre Hilfe.


Können Sie das näher erläutern?

Sie finanzierten viele Medien in der Region und wiesen sie an, negativ über Aserbaidschan zu berichten. Zum Beispiel sehen wir jetzt viel weniger negative Artikel über Aserbaidschan, weil es keine Personen wie Samantha Power, die ehemalige USAID-Direktorin, mehr gibt, die einen genetischen Hass auf Aserbaidschan und sein Volk hatten.


Auch in Deutschland berichten Zeitungen und Fernsehsender oft negativ über die Menschenrechtslage in Aserbaidschan.

Leider haben bestimmte europäische Leitmedien, darunter einige deutsche Medien, eine Brandmauer-Mentalität. Ohne das Land gesehen zu haben, verbreiten sie eine verzerrte Realität. Einige Medien lieferten nur einseitige und voreingenommene Informationen. Hier ein Beispiel: Wenn ein deutsches Medium einen Artikel veröffentlicht, der mein Land scharf kritisiert, bitte ich um ein Recht auf Erwiderung. Sie sagen ja, aber in der Praxis bekomme ich nie die Möglichkeit, zu antworten. Das erinnert mich an das sowjetische Politbüro.


Wie meinen Sie das?

Ich entschuldige mich schon mal für den Vergleich einiger deutscher Medien mit dem Politbüro, aber es ist sehr ähnlich. Habe ich das Recht, eine alternative Perspektive einzubringen? Ja. Kann ich sie teilen? Nein. Sie geben uns keine Plattform, um zu antworten. Sie geben uns keine Möglichkeit, unsere Sicht darzustellen.