Dienstag, 14. Januar 2025, Berliner Zeitung
Die DDR in ganz Klein
Mit großer Liebe zum Detail lassen Hellersdorfer Modellbahner die alte Heimat wieder auferstehen. Bald kann man sich davon überzeugen
Alexander Reich (Text) und Thomas Meyer/Ostkreuz (Foto)
Früher drehte sich die Welt langsamer, dafür kamen die Züge pünktlich. „Auch in der DDR waren sie jedenfalls pünktlicher als im Moment“, sagt Holger Voigt. Er steht in einer Art Zeitkapsel am U-Bahnhof Hellersdorf. Hinter einer Verladerampe hat Voigt im Erdgeschoss eines Plattenbauriegels die DDR wiederaufgebaut. Nicht ganz allein, versteht sich: Der 54-Jährige ist Vorsitzender des Vereins IG Modellbahn Hellersdorf. IG steht für Interessengemeinschaft.
An einigen Wochenenden im Jahr öffnet der Verein seine Miniatur-DDR für Besucher. In dieser Woche ist es wieder soweit. Beim vorigen Mal kamen am Novemberwochenende des 25. Mauerfalljubiläums mehr als 550 Besucher. Auch die Eintrittspreise erinnern an früher: vier Euro für Erwachsene, Kinder die Hälfte, Familienkarte zehn Euro. Es gibt Bockwurst, Knacker, Wiener und Kuchen, dazu Kaffee und alkoholfreie Getränke. Alles für kleines Geld.
Ikarus-Busse als Ladung
Manche Besucher bleiben den ganzen Tag, erzählt Voigt. „Die kommen um zehn Uhr und sind bis kurz vor fünf hier.“ Hier, das sind fünf Anlagen auf 120 Quadratmetern mit unzähligen Details. Wir stehen an der größten Anlage. Auf der zweigleisigen Hauptstrecke ist ein „Städteex“ unterwegs, ein Städteexpress. Ein Interzonenzug brettert ohne Halt von West-Berlin nach Westdeutschland durch. Auf der Nebenstrecke fährt ein Kesselwagenzug. Weitere Güterzüge stehen bereit, die Waggons voller Erz, voller Kohle ...
„Diverse DDR-typische Züge“, erklärt Voigt. „Und da drüben steht noch einer für unsere sowjetischen Freunde.“ Solch ein Zug fuhr zum Beispiel täglich vom Sitz des Oberkommandos der Waffenbrüder im brandenburgischen „Wjunsdorf“ nach Moskau.
Es ist viel Bewegung auf den Platten, aber auch viel idyllische Ruhe: Kühe auf Weiden, Kleingärtner in Liegestühlen, eine Teichanlage zum Baden und Angeln, auf der auch ein Tretboot schippert. Am Bahnhof Neukirchen warten Hunderte Figuren. Einige blicken auf einen Güterzug, der neue Ikarus-Busse aus Ungarn ins Land bringt. Beleuchtet wird der volle Bahnhof von Leuchtstoffröhren. Zwei davon flackern, weil das nun mal typisch war.
Hier stimmt jedes Detail: Ein Stück weiter hinten wird bei Minol ein Trabant aufgetankt. Das Modell gibt es serienmäßig nur mit geschlossener Motorhaube. „Aber der Trabi hatte keinen Tankeinfüllstutzen“, erklärt Voigt. Die Haube musste zum Tanken geöffnet werden. Damit die Szene stimmt, haben die Bastler also die Motorhaube geöffnet und einen Motorblock hineingebaut.
Es sind solche Kleinigkeiten, die die DDR zum Leben erwecken. Hier läuft die Kartoffelernte, dort steht die HO-Kaufhalle. „Eine Ziehharmonika-Halle“, erklärt Voigt. „Die konnte man zusammenschieben und auf dem Lkw transportieren.“
Für Nachgeborene, denen die DDR nichts sagt, gibt es an der Anlage jede Menge Knöpfe, mit denen sie Vorgänge auslösen können. In einem Biergarten drehen sich Tanzpaare, auf dem Dach des Bahnhofs Neukirchen schwingen Maler die Pinsel, in einer Werkstatt blitzen Schweißgeräte. Ein Grill dampft. Oder die Glocken einer Kirche läuten, vor der geheiratet wird, während auf dem Friedhof dahinter eine Beerdigung läuft.
Auch die Kleinen können ihren Spaß daran haben, dass sich in einer Szene Schweine durch ein Gemüsebeet fressen. Das geht für Voigt so in Ordnung, aber den Dackel in einem Kleingartenschuppen, den nimmt er raus. „Der ist viel zu groß“, sagt er. „Da hat wieder irgendjemand Quatsch gemacht.“
Für ICE-Züge hat sich Voigt nie sonderlich interessiert. „Das ist die Bahn, die ich kenne“, sagt er, und zeigt auf die neu angeschaffte Gleiswendel und ein Dutzend Züge im Schattenbahnhof. Im Alter von zehn Jahren hat er mit dem Modellbau angefangen. 1980 war das.
Sechs Jahre später ging er zur Reichsbahn, machte die Ausbildung zum Lokschlosser. Obwohl er aufgestiegen ist zum Lokführer, erst Dampfloks fuhr, später auch Diesel- und E-Loks, und schließlich in der Planungsabteilung der größten privaten Bahn im Osten, der Odeg, tätig war, ist Voigt nie richtig angekommen in der neuen Zeit. „Das ist doch keine Bahn mehr heute“, sagt er. Was denn sonst? „Pfff!“ Er will dazu nur so viel sagen: „Früher gab es auf jedem Bahnhof Eisenbahner, auch auf den kleinen. Die konnten Auskunft geben. Da wurde auch nichts beschmiert oder zerkratzt oder sonst was.“ Er versteht schon, dass „Menschenpower“ heute sehr viel Geld kostet. Es ist nur alles nicht mehr seins. Er ist schon lange nicht mehr bei der großen Bahn, sondern nur noch bei der kleinen.
Wann immer die Vereinsmitglieder Zeit haben, basteln sie in der Halle vor sich hin. Zurzeit sind es 17 Leute, zwei davon Frauen. Und zwei sind noch jugendlich. Nicht jeder stellt alles, was er abgeräumt hat, um beispielsweise eine Weiche zu erneuern, wieder richtig hin, sagt Voigt an der verschneiten Winterbahn im hinteren Teil des Raumes. Er sucht gerade das Kassenhäuschen vom Wildpark.
Auf der Winterbahn ist alles noch etwas kleiner. „Typische DDR-Größe“, sagt Voigt. Spurweite: TT. Der Maßstab sei hier 1 zu 120. Bei der Hauptbahn mit H0-Spurweite sei der Maßstab 1:87. Auch an der TT-Bahn gibt es Knöpfe. Einer schmeißt einen Bagger an. Ein anderer setzt eine sowjetische Großdiesellok in Bewegung, „die V300 oder BR 132, also Baureihe 132“, so Voigt. Die gebe es auch im Betriebswerk am Eingang, nur eben größer. Da ist die Spurweite wieder H0.
Voigt steuert die V300 im Betriebswerk auf die Drehscheibe. Man höre Leute vom „Lok-Karussell“ sprechen, aber das sei nicht die korrekte Bezeichnung. Er zeigt, wo im Werk die „Betriebsvorräte der Lok ergänzt“ werden. Wo der Diesel für die V300 ist, wo der Sand reinkommt. Letzteren brauche es gerade bei solchem Wetter, wie wir es zurzeit haben, erklärt er. „Wenn da Laub auf den Schienen ist, ist das wie Schmierseife.“
Er zeigt einen „Sanddom“ auf einer Dampflok, nimmt sie vom Gleis und dreht sie um, deutet auf die kleinen Rohre vor und hinter den Achsen. Da hindurch werde der Sand mit Druckluft auf die Schienen geblasen, erklärt er geduldig. Und macht dann mit der V300 weiter, die heute auch in Groß noch durch Berlin fährt, aber nur noch an der Spitze von Güterzügen, mit höchstens 120 Kilometern pro Stunde. So wie das früher war, als er noch bei der Bahn war.
Voigt betreibt heute einen Laden für Modellbahnen in Karlshorst. In Ost-Berlin gibt es sonst nur noch einen in Weißensee. Das Geschäft könnte besser laufen, sagt Voigt. Junge Kunden kämen kaum noch. Und manche ließen sich auch nur beraten, um dann online billig einzukaufen.
Basteln an der Traumwelt
In der DDR war das Angebot sehr viel kleiner, dafür die Nachfrage riesig. Auf der Modellbahn in Hellersdorf gibt es auch einen Modellbahnladen, gleich hinterm Bahnhof Neukirchen. Davor hat sich eine lange Warteschlange gebildet.
Wenn Voigt an dieser Traumwelt bastelt, die einst sehr real war, hat er die Ruhe weg. Sein Handy braucht er nur für Licht und Fotos. Wenn solche Tüftelei bei jungen Leuten wieder in Mode käme, wäre das nicht das Schlechteste.
Kinder können sich in der Ausstellung am Wochenende gegen Spende eine eigene kleine Feldbahn basteln. Und es gibt zwei Anlagen, die nie zuvor in den heiligen Hallen der IG zu sehen waren. Die eine ist beschaulich, hat „ländlichen Charme“. Die andere zeigt einen Steinbruch.
Besuchertage am 18. und 19. Januar.
Geöffnet ist am Sonnabend und Sonntag von 10 bis 17 Uhr, Adresse: Stollberger Straße 49 (650 Meter vom U-Bahnhof Hellersdorf)