Moment, widersprachen einige Chormitglieder dem Konzertvorhaben: Das Risiko ist zu hoch! Unser Chor ist groß und herrlich, aber mit nur zwei Auftritten im Jahr kennt ihn keiner. Genauso wenig wie die Komponistin Ethel Smyth (1858–1944). Ja, endlich eine Frau, die die Töne gesetzt hat, aber eine Unbekannte. Damit füllen wir nicht den Berliner Dom! Tausend Plätze! Führt uns das nicht in die Pleite?

Studiosi cantandi ist ein fabelhafter Berliner Chor, vor allem, wenn er zusammen mit dem Tonkollektiv der Hochschule für Technik und Wirtschaft auftritt und mit der Jungen Philharmonie Kreuzberg. Als einer von ganz wenigen Laienchören bekommt er – bis jetzt! – winzige Senatszuschüsse, um in großen Konzerthäusern auftreten zu können. Dafür werden auch keine Selbstläufer wie „Carmina Burana“ erwartet, sondern gern Wagnisse. Eben solche Ausgrabungen wie die vergessene Ethel Smyth – tränentreibend ihre Dialoge zwischen Gefangenem und Seele in „The Prison“, romantisch bis krachend ihre Opernarien in „Der Wald“. Die meisten Sängerinnen verteidigen den Auftritt: Was diese Frau für ihre Kunst riskiert hat!

Tatsächlich klingt ihr Leben wie ausgedacht. Die Tochter eines britischen Generals war 19, als sie in den Hungerstreik trat, um ihren Vater für ein Musikstudium in Leipzig zu erweichen. Hat geklappt. Später schaffte sie es, dass die Berliner Philharmoniker eine Sinfonie von ihr spielten, die Berliner Hofoper und die New Yorker Met erstmals die Oper einer Frau aufführten – „Der Wald“. Sie war Tischdame beim deutschen Kaiser und wurde in den britischen Adelsstand erhoben. Liiert mit Männern wie Frauen hätte sie besser ins Heute gepasst, monatelanges Gefängnis wäre der Sufragette erspart geblieben. Aber selbst dort gab sie keine Ruhe: Mit der Zahnbürste dirigierte sie durch die Gitterstäbe ihres Zellenfensters einen Gefangenenchor. Er sang ihre Hymne „March of the Women“.

Gerade wird Ethel Smyth wiederentdeckt. Sie hat sich Ruhm erkämpft, den Laienchor zu maximaler Chuzpe verleitet. Er präsentiert Ethel Smyth – nicht leicht zu singen – ohne Sicherheitsanker. Also ohne das Konzert durch ein Mozart-Stück zu ergänzen. Eine Woche vor dem Termin ist die Hälfte der Karten verkauft – und keine Pleite mehr zu fürchten.


Ethel Smyth: The Prison, Der Wald (Auszüge). 30.11., 20 Uhr, Berliner Dom, Karten im Ticketshop der Berliner Zeitung