Julian Assange kommt frei. Zwölf Jahre haben die USA ihn seiner Freiheit beraubt. Erst im Exil in der ecuadorianischen Botschaft in London, dann die letzten fünf Jahre in Isolationshaft im als britischem Guantanamo berüchtigten Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh bei London. Julian Assanges Vergehen ist, dass er Folterprogramme des US-Geheimdienstes CIA, Kriegsverbrechen der USA im Irak und der Nato-Staaten in Afghanistan öffentlich gemacht hatte. Das ist der Kern der politischen Verfolgung des Journalisten durch die US-Administration.

Internationale Kampagne


Sowohl unter US-Präsident Barack Obama als auch unter US-Präsident Donald Trump stellen hohe Verantwortliche Überlegungen an, wie man Julian Assange ermorden könnte: US-Außenministerin Hillary Clinton fragt in einer geleakten E-Mail, ob man „diesen Typen nicht einfach mit einer Drohne ausschalten könnte“; Trumps CIA-Chef Mike Pompeo lässt seine Mitarbeiter ausloten, wie sich Assange am besten entführen oder töten ließe. Zuletzt ist Julian Assange der Gefangene von US-Präsident Joe Biden.

Eine internationale Solidaritätskampagne zur Freilassung kombiniert mit vielfältigen politischen Initiativen und vertraulichen Gesprächen sorgen schließlich dafür, dass sich dieser offenbar entschließt, Julian Assange noch vor den US-Wahlen im November loswerden zu wollen. Diplomatie und öffentlicher Druck zeigen Wirkung. Es ist eine weitere Schande für die USA und ihre Nato-Verbündeten, dass der Journalist nicht einfach freigelassen und für die politische Verfolgung entschädigt wird, sondern eine Justizfarce auf den Nördlichen Marianeninseln am Ende des politischen Prozesses steht. So wie die Verfolgung von Assange stets politisch motiviert war, so die Maßnahmen der US-Administration und US-Justiz in ihren Diensten bis zuletzt.

Assange ist ein Held unserer Zeit. Wie kaum ein anderer setzt er sein Leben ein, seine Freiheit, im Kampf um die Freiheit aller. Es gehört zur Wahrheit, dass der Journalist für die Veröffentlichung von Kriegsverbrechen verfolgt wird, während nicht eines der von ihm öffentlich gemachten Kriegsverbrechen gesühnt wird. Noch werden diejenigen belangt, die diese Kriegsverbrechen vertuscht haben, erst recht nicht diejenigen, die wie US-Präsident George W. Bush oder der britische Premierminister Tony Blair auf Lügen basierend den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen den Irak vom Zaun gebrochen haben.

Wie mit Julian Assange umgegangen wird, ist aber auch ein Lehrstück für die Politik heute. Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) etwa, die keinen Finger für Julian Assange gerührt und stattdessen den US-Angriff auf die Pressefreiheit sogar flankiert hat, feiert nun seine Freilassung. Nicht unerwähnt bleiben sollten seine vielen Journalistenkollegen, die bei der Schmutzkampagne gegen Julian Assange jahrelang mitgemacht haben, sich aber heute daran nicht mehr erinnern wollen. Es ist mutigen Menschen wie dem UN-Sonderberichterstatter zum Thema Folter, Nils Melzer, zu verdanken, dass die Lügenkampagne, mit der der Dissident des Westens moralisch begraben werden sollte, am Ende in sich zusammengebrochen ist. Es ist der Solidarität seiner Familie, seiner Frau Stella Assange, seines Vaters John Shipton und seines Bruders Gabriel zu verdanken, dass die Kampagne für seine Freilassung immer größer geworden ist, bis selbst ein US-Präsident nicht mehr an ihr vorbeikommt.

Im September 2012 habe ich Julian Assange das erste Mal in seinem Exil in der ecuadorianischen Botschaft in London als weltweit erste Abgeordnete besucht. Seine Situation war bereits damals äußerst prekär. Kein Raum für sich, eingepfercht wie in einem Gefängnis. Beeindruckend aber war seine mentale Stärke, ohne die er dieses Martyrium der 12 Jahre ohne Freiheit vermutlich nicht durchgestanden hätte.

Julian ist ein Held unserer Zeit, weil seine Wahrheitsliebe und sein Engagement gegen den Krieg ihn immer antreiben. Wenn Kriege durch Lügen begonnen werden können, kann Frieden durch die Wahrheit begonnen werden, das ist Julian Assanges Credo. Diesem Credo war und ist auch die durch ihn gegründete Enthüllungsplattform Wikileaks verpflichtet. Gegen Wikileaks aber geht die politische Verfolgung weiter. Auch die Regierungen in den Nato-Staaten heute haben kein Interesse daran, dass die Verbrechen ihrer Kriege und Stellvertreterkriege öffentlich werden. Nur so lässt sich erklären, warum sie die politische Verfolgung von Julian Assange so lange mit decken.

An Assange ist ein Exempel statuiert worden, auf dass nie mehr ein Journalist es künftig auch nur wagen würde, die als Staatsgeheimnisse deklarierten Verbrechen zu veröffentlichen. Nie mehr soll es Leute aus dem US-Staatsapparat geben, etwa wie Edward Snowden, der gezwungenermaßen im Moskauer Exil weilt, die Verbrechen ans Licht bringen.

Niemals aufgeben


Die Verhandlungslösung, die die USA jetzt Julian Assange angeboten haben, weist im Übrigen nicht etwa auf einen Opportunismus des Gefolterten, sondern allein auf den unbedingten Willen der USA, kritische Journalisten weiter verfolgen zu wollen. Niemals aufgeben, keep fighting, sagt Julian Assange immer wieder. Das gilt auch hier. Sich nicht dumm machen lassen. Der Kampf um die Wahrheit und die Freiheit, um kritischen Journalismus, für die Veröffentlichung von Kriegsverbrechen, er hat gerade erst begonnen.

In Deutschland aber gilt: Eine Bundesregierung, die sich in bedingungsloser Vasallentreue mit der US-Außenpolitik und ihrer fortgesetzten Verfolgung von Journalisten und der Legitimierung der US-Kriege sieht, sollte besser von demokratischer Souveränität schweigen. Die Freiheit von Julian Assange ist die Freiheit, die es erst noch zu gewinnen gilt. Dass es möglich ist und wir dafür kämpfen sollten, ohne je die Hoffnung zu verlieren oder aufzugeben, hat der gestrige Tag deutlich gemacht.


Sevim Dagdelen ist außenpolitische

Sprecherin der BSW-Gruppe im Bundestag und Mitglied im Auswärtigen Ausschuss.