Mittwoch, 8. Oktober 2025, Berliner Zeitung
Dieses Klacken
Die JVA Tegel ist eines der größten Gefängnisse Deutschlands. Jüngst haben dort umfangreiche Bauarbeiten begonnen – ein neues Hafthaus soll entstehen. Ein Besuch bei den ganz schweren Jungs
Carola Tunk
Es klackt metallisch, als der Schlüssel ins Schloss geschoben wird. Nach dem Umdrehen öffnet sich die Tür. Es ist das letzte Geräusch, das jeder Häftling vor dem Einschlafen hört. Und das erste, womit er in seinen Tag beginnt.
Sechs Uhr morgens. Ein Wärter wirft einen Blick in die Zelle. Schmale Pritsche, Tisch, Toilette. „Morgen“, raunt der Häftling. Die Tür fällt ins Schloss. Dann gibt es Frühstück. Margarine, ein, zwei Scheiben Brot, Marmelade. So beginnen die Tage der Gefangenen in der Justizvollzugsanstalt Tegel in der Regel.
1898 zogen hier die ersten Gefangenen ein. Damals hieß der Bau noch „Königliches Strafgefängnis“. Mehr als ein Jahrhundert später: dieselben Mauern. Tegel hat Platz für 900 Gefangene. Es ist somit das größte Männergefängnis Deutschlands. Jetzt soll es noch größer werden. Für 42 Millionen Euro soll die neue Teilanstalt I. auf dem Gelände entstehen.
Mit einem symbolischen Spatenstich haben Justizsenatorin Felor Badenberg (CDU) und Bausenator Christian Gaebler (SPD) das Projekt Anfang September offiziell gestartet. Noch in diesem Jahr soll mit dem Rohbau begonnen werden, 2029 sollen die ersten Häftlinge in das moderne Gebäude mit 216 Zellen einziehen. Kostenpunkt: fast 193.000 Euro pro Insasse.
Der Neubau gilt als Vorzeigeprojekt: Nur wenn er steht, können weitere Gebäudeteile in Tegel saniert werden. Das Areal im Berliner Bezirk Reinickendorf umfasst heute mehr als 130.000 Quadratmeter. Untergebracht sind hier ausschließlich Männer – verurteilte Straftäter mit langen Freiheitsstrafen, darunter auch lebenslänglich Verurteilte. Zudem befindet sich auf dem Gelände die Sicherungsverwahrung – Höchststrafe in Deutschland! Sicherungsverwahrung bedeutet, dass eine Person nach Verbüßung ihrer eigentlichen Strafe weiterhin im Gefängnis bleibt, weil sie als gefährlich für die Allgemeinheit eingestuft wird.
Berlin hat Platz für weitere Gefangene. Laut Justizvollzugsstatistik aus dem Jahr 2024 sind in der Hauptstadt über 9500 Menschen in Gefängnissen untergebracht. Im Gegensatz zu anderen deutschen Justizvollzugsanstalten stehen in den Gefängnisse noch 4300 Haftplätze zur Verfügung.
Berlin ist kriminell
Im bundesdeutschen Vergleich befindet sich Berlin im unteren Mittelfeld. Mit einem Anteil von 82 Prozent stehen in der Hauptstadt mehr Zellen leer als beim Spitzenreiter Rheinland-Pfalz. Schlusslicht ist Thüringen mit 71 Prozent Leerstand. In den Berliner Justizvollzugsanstalten sei eine erhöhte Belegung in der U-Haft der JVA Moabit zu verzeichnen, eine „Überfüllung“ lag und liege in keiner JVA vor, teilte eine Sprecherin der Senatsverwaltung für Justiz gegenüber der Berliner Zeitung mit.
Allerdings: Berlin ist kriminell. Auf 100.000 Einwohner kommen in der Hauptstadt etwa 90 Häftlinge (Stand: Dezember 2024). Im bundesweiten Durchschnitt beträgt die Gefangenenrate hingegen nur 71. Männer begehen mehr Straftaten als Frauen. 3523 Täter sind männlich, und 188 weiblich (Stichtag 31. März 2024). 56 Prozent aller Häftlinge sind nichtdeutscher Herkunft.
Zurück hinter Gitter: Mittagspause in der JVA Tegel. Zwischen 11.30 Uhr und 12.45 Uhr können die Gefangenen ihr Mittagessen zu sich nehmen. Sie haben die Wahl zwischen Fleisch oder Vegetarischem. Auf dem Speiseplan stehen zum Beispiel Kochklöpse, Geflügel-Wurstgulasch an schweinefleischfreien Tagen oder Käsesoße mit Reis als vegetarische Alternative. Danach geht’s für viele Häftlinge wieder an die Arbeit. Sie arbeiten in der Küche, machen den Abwasch oder bereiten die nächste Mahlzeit zu. Manche stellen Möbel her oder erledigen kleinere Reparaturen.
In Tegel arbeiten fast 70 Prozent aller Gefangenen. Dies geht aus einer parlamentarischen Anfrage der Grünen im Abgeordnetenhaus hervor. Gesetzlicher Mindestlohn? Fehlanzeige. Berlin will indes den Lohn Gefangener von bislang 2,50 Euro auf 4,25 Euro pro Stunde erhöhen, wie die taz kürzlich berichtete. Gefangenenarbeit ist in vielen Bundesländern pflichtig. Das heißt, Häftlinge müssen arbeiten, sofern sie gesund sind. Überstunden müssen Gefangene in Tegel allerdings nicht machen. Pünktlich um 14.49 Uhr ist hier Schicht im Schacht – Feierabend!
Auch die Freizeit der Insassen ist klar geregelt. Die Stunden bis zum Einschluss sind kostbar – und doch streng reglementiert. 15.35 Uhr klackt erneut der Schlüssel für den Aufschluss. Die Gefangenen haben eine sogenannte Freistunde und dürfen raus. Damit keine Langeweile aufkommt, gibt es beispielsweise den verpflichtenden Hofgang, eine Bibliothek. Manche JVAs bieten auch Sportgruppen und -turniere an.
Freizeit im Gefängnis erleichtert die Wiedereingliederung. Doch sie birgt auch Risiken. Wer einsitzt, hat oft draußen schon Probleme gehabt, mit seiner freien Zeit etwas Sinnvolles anzufangen. Hinter Mauern soll der Vollzug deshalb nicht nur Struktur geben, sondern Wege zeigen, wie freie Stunden verantwortungsvoll gefüllt werden können. Anleitung zum bewussten Umgang mit Freizeit hat im Knast einen hohen Stellenwert – nicht nur für die Zeit drinnen, sondern auch als vorbeugender Schutz vor einem Rückfall draußen. In Tegel wie auch in anderen Gefängnissen soll die Freizeit deshalb nicht nur ablenken, sondern neue Routinen aufzeigen.
Nachdem sich viele Insassen beim Sport ausgepowert und geschwitzt haben, geht’s unter die Dusche – ein Ort im Gefängnis, um den sich viele Mythen ranken. Fakt ist: Strafgefangene haben keinen rechtlichen Anspruch darauf, täglich zu duschen. 2015 wies ein Gericht die Beschwerde eines Gefangenen der JVA Düsseldorf zurück. Der Richter stellte klar: Wer weder körperlich arbeitet noch Sport treibt, muss nicht jeden Tag duschen. Die in der JVA übliche Regelung, nur zweimal pro Woche das Duschen zu erlauben, sei ausreichend. Entscheidend war, dass dem Betroffenen in seinem Haftraum eine moderne „Nasszelle“ zur Verfügung stand. In der Hausordnung der JVA Tegel heißt es dazu nur, dass den Häftlingen „ausreichend Gelegenheit“ zum Duschen gegeben werde.
In demselben Papier sind auch Dinge wie Religionsausübung, Einkäufe und Fernsehen für die Insassen geregelt. Selbst der Punkt Eheschließung findet Erwähnung. Hochzeiten im Gefängnis sind erlaubt, müssen aber rechtzeitig beantragt werden. Wer sein Lieblingsshirt, bestimmte Bücher oder andere Privatsachen – auf legalem Wege – ins Gefängnis bringen möchte, muss das beantragen. Gegebenenfalls müssen laut Hausordnung auch erst andere Gegenstände herausgerückt werden, bevor neue in Empfang genommen werden dürfen.
Werden Gegenstände ins Gefängnis geschmuggelt, droht eine Strafe bis zu 1000 Euro.! Nichtsdestotrotz ist es kein Geheimnis, dass immer wieder Handys oder sogar Drogen ins Gefängnis geschmuggelt werden. Kurios: Manche Häftlinge lassen sich sogar Burger in den Knast bringen.
Die JVA Tegel hat auch die Gesundheit ihrer Gefangenen fest im Blick. Das regelt die Hausordnung so; Lassen Sie das Fixen! Wenn Sie dennoch harte Drogen konsumieren, verwenden Sie auf keinen Fall fremde Spritzbestecke! Verborgen Sie die eigene Spritze nicht! Unterlassen Sie das Tätowieren und Ohrläppchendurchstechen bzw. Piercen! Lassen Sie sich über Möglichkeiten zur Desinfektion und Hygiene beraten! Unterlassen Sie ungeschützten Analverkehr!
Auch das Surfen im Internet ist streng verboten – eigentlich. Doch völlig verschließen will und kann sich der Strafvollzug der Digitalisierung dann doch nicht. Ein neues Projekt soll Inhaftierten kontrollierten Internet-Zugang ermöglichen. Der Vorschlag wurde kürzlich im Rechtsausschuss des Landes Berlin besprochen. Die Gesetzesänderungen dazu sollen in einer Teilanstalt der JVA Heidering den Gefangenen beschränkten Zugang zum Internet gewähren. Den Gefangenen soll dadurch der Zugriff auf News-Seiten, Wohnungssuchportalen, Fortbildungsangeboten, Arbeitsagenturseiten oder Wikipedia ermöglicht werden. So weit, so fortschrittlich.
Am Mittwochabend gibt es Feinkost
Und wieder in die Zelle. Nach der Freistunde gibt’s Abendbrot, was durchaus wörtlich zu nehmen ist. Außer einer Sorte Belag, Margarine und Brot gibt’s nichts. Mittwochs wird immerhin Feinkost aufgetischt. Die Senatsverwaltung für Justiz macht keine Angaben, was darunter zu verstehen ist. Grundsätzlich ist sogar ein Antrag auf koschere Ernährung möglich. Dies geht aus einem Schreiben der Rechtsextremistin Marla-Svenja Liebich hervor, die ihre Haft in der JVA Chemnitz antreten soll.
Liebich gehört zu einer Reihe an Prominenten, die zu einer Haftstrafe verurteilt wurden. Zuletzt sorgte der Schauspieler Jimi Blue Ochsenknecht für Schlagzeilen. Der Sohn von Schauspieler Uwe Ochsenknecht wurde im Frühjahr 2025 in Hamburg festgenommen und kam in U-Haft. Im Juli 2025 wurde der TV-Star gegen Kaution freigelassen und kam am Ende frei. FC-Bayern-Legende Uli Hoeneß, Fernsehkoch Alfons Schuhbeck und Tennislegende Boris Becker mussten einsitzen, Schuhbeck und Hoeneß im schicken Freigänger-Knast in Landsberg am Lech. Becker schrieb sogar ein Buch über seine Zeit hinter Gittern in Huntercombe in Oxfordshire.
Sie alle kennen das unverwechselbare Klacken, das am Abend zwischen 19.45 Uhr und 21.30 Uhr auch in der JVA Tegel zu hören ist. Hinter den hohen Mauern, in den Zellen, ist es spät geworden. Einige Häftlinge sitzen still auf ihrer Pritsche. Andere blättern noch hastig in einem Buch.
Wieder andere starren auf die karge Wand und sind auf der Suche nach der verlorenen Zeit.