In ihrem Beruf als Lehrerin konnte Laura genau eine Woche arbeiten. Mehr als ein Jahr ist das her. Seitdem ist sie arbeitsunfähig, mit Anfang 30.

Ein hartnäckiger Infekt hatte die Berlinerin in der Zeit ihres Referendariats ereilt – und nie wieder losgelassen. Manche Beschwerden gingen, andere, wie die Empfindlichkeit gegenüber Reizen und diese bleierne Erschöpfung, blieben. „Ich habe mich gefühlt, als würden Sandsäcke an mir hängen“, sagt Laura, die in Wahrheit einen anderen Namen trägt. Heute weiß sie: Sie leidet an ME/CFS, einer chronischen Multisystemerkrankung, die häufig nach Virusinfektionen auftritt, auch nach Corona.

Die junge Frau schleppte sich zum Staatsexamen und in ihre erste Arbeitswoche. Dann musste sie sich eingestehen: Es geht nicht mehr. Kurz nachdem ihr Arzt eine postvirale Erkrankung diagnostizierte, brach Laura zusammen. „Ich bin von heute auf morgen bettlägerig gewesen“, sagt sie. Ihr Partner zog bei ihr ein, um sie zu pflegen. Anziehen, Einkaufen, Kochen – die alltäglichsten Dinge waren nicht mehr möglich.

In diesem Sommer endlich machte Laura kleine Fortschritte. Bis sie wieder zurückgeworfen wurde – ausgerechnet in einer fünfwöchigen Reha, die doch eigentlich dabei helfen sollte, sie fitter zu machen. „Ich hatte durchgängig Migräne und habe Symptome entwickelt, die ich bisher noch gar nicht kannte“, berichtet sie. „Abends konnte ich die Augen gar nicht mehr aufmachen, weil es mir so schlecht ging. Das war ein Zustand, den ich vor der Reha nicht kannte.“

Mit ihrer Erfahrung ist Laura nicht allein. Bei vielen postviral Erkrankten haben Reha-Kliniken einen eher zweifelhaften Ruf, vorsichtig formuliert. Nun hat die Patienteninitiative Long Covid Deutschland erstmals Daten vorgelegt, die ein gutes Bild davon zeichnen, wo die Probleme liegen.

Im Januar und Februar 2023 hatte der Selbsthilfeverband eine Online-Befragung unter Menschen gemacht, die unter Corona-Langzeitfolgen leiden und in den Jahren 2020 bis 2022 Reha-Programme absolviert haben. 1191 Betroffene machten mit, 733 von ihnen teilten ihre Erfahrungen ausführlich auch in freien Kommentarfeldern. Diese Antworten hat der Verband jetzt gemeinsam mit der Gesundheitswissenschaftlerin Sabine Hammer, Professorin der Hochschule Fresenius im hessischen Idstein, analysiert. Die Auswertung lag der Berliner Zeitung vorab vor.

Das herausstechende Ergebnis: 366 Betroffene, jeder zweite also, berichteten von einer Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes infolge der Reha. Nur 37 Prozent bewerteten ihren Zustand vier Wochen nach dem Klinikaufenthalt als verbessert.

Anstrengungen können Crashs auslösen

Die Umfrage ist sicher nicht repräsentativ – das macht der Bericht auch transparent: Post-Covid umfasst zahlreiche, unterschiedlich gravierende Symptome, darunter auch viele vergleichsweise milde. Eine Selbsthilfe-Initiative hingegen erreicht wohl vor allem Menschen, die anhaltend schwer betroffen sind. Von der Umfrage dürften sich zudem jene noch verstärkt angesprochen gefühlt haben, die in der Reha schlechte Erfahrungen gemacht haben. Trotz dieser Einschränkungen sind ihre Antworten aufschlussreich. Denn glaubt man den Befragten, entscheiden vor allem zwei Fragen über den Reha-Erfolg: ob die Rehabilitanden unter dem Symptom der Post-Exertionellen Malaise, kurz PEM, leiden – und ob sich die Klinik ausreichend darauf einstellen kann.

PEM wird häufig mit „Belastungsintoleranz“ übersetzt: Überschreiten Betroffene ihre Grenzen, reagieren sie mit einem Crash, einer teils anhaltenden Verschlimmerung der Symptome. Während manche ein Sportprogramm bewältigen können, ist für andere bereits ein Gespräch zu viel.

Sechs von zehn Umfrageteilnehmern hatten den Eindruck, dass das Reha-Programm nicht alle ihre Post-Covid-Symptome ausreichend berücksichtigte. Dass sich ihre Klinik auf die Besonderheiten von PEM vollständig einstellen konnte, sagten nur 17 Prozent. Kontraproduktiv war demnach vor allem zu viel Kraft- und Ausdauertraining. Dabei müssten die Rehabilitanden „zuallererst lernen, wie sie Verschlimmerungen verhindern und ihr Leben mit den meist weitreichenden Einschränkungen bewältigen können“, sagt Gesundheitswissenschaftlerin Hammer.

Auch Laura leidet unter PEM: Es ist das Kardinalsymptom, das alle ME/CFS-Betroffenen teilen, so unterschiedlich die Krankheit bei ihnen auftreten mag. Druck, an einer Reha teilzunehmen, erhält die junge Lehrerin zunächst von ihrer Krankenkasse. Sie solle versuchen, auf diesem Weg zurück in den Beruf zu kommen.

Die Schwierigkeiten anderer ME/CFS-Patienten mit der Reha kennt Laura da bereits, doch sie hat Glück: Es gelingt ihr, als Probandin in die „CFS_Care“-Studie der Charité aufgenommen zu werden. Zu der Studie gehört auch ein neues Reha-Konzept, das Wissenschaftler in einer Klinik im sächsischen Kreischa erproben – eines, das eigens auf die Bedürfnisse von ME/CFS-Erkrankten ausgelegt ist.

In der Umfrage von Long Covid Deutschland schildern viele, dass das Personal ihrer Kliniken zu wenig über Post-Covid wisse, vor allem über ME/CFS, worunter etwa jeder zweite Befragte leidet. Sein Arzt habe „erst mal googeln müssen“, was das überhaupt sei, zitiert die Auswertung einen Teilnehmer. Laura macht bessere Erfahrungen: „Sowohl die Ärztin als auch die Therapeuten haben uns ernst genommen und kannten sich gut mit der Erkrankung aus“, sagt sie. „Das hat sich sehr gut angefühlt.“ Dennoch überwiegen auch bei ihr „die negativen Gedanken“. Sie beginnen an Tag eins. Schon die Anreise, drei Stunden Autofahrt, sind eine Herausforderung für eine Patientin, die auf Reize so empfindlich reagiert und kaum mehr als ein paar Schritte zu gehen vermag. Zeit zum Ausruhen bekommt Laura nach ihrer Ankunft jedoch nicht. Sofort geht es los, zunächst mit langen Gesprächen mit Ärzten und Pflegepersonal. „Schon das hat mich total ausgeknockt“, erzählt Laura.

Bis zu sechs Therapie-Termine stehen jeden Tag auf ihrem Plan – zu viele: „Ich konnte davon an den meisten Tagen nur einen machen, weil mich das Programm total überfordert hat.“ Anders als Rehabilitanden aus anderen Kliniken berichten, kann sie Anwendungen problemlos absagen. Doch in den nächsten Wochen bleibt der Plan unverändert voll. Es ist die Schwerkranke, die täglich ihre Absagen organisieren muss. Trotz allem hätten praktisch alle Rehabilitanden eine Verschlechterung erlebt, sagt Laura: „Weil das Pensum einfach nicht zu schaffen ist und nicht guttut.“ Eine Patientin, die zur selben Zeit in Kreischa war, berichtet Ähnliches.

Das Essen bekommt Laura in einem Speisesaal, gemeinsam mit vielleicht 80 anderen Rehabilitanden. Im Raum ist es laut und wuselig. „Das war ein wahnsinniger Geräuschpegel“, erinnert sich Laura. „Ich schaffe es ja sonst gerade auch nicht, mit mehr als einer Person zusammen zu essen. Das hat meine Möglichkeiten komplett überstiegen.“ Überhaupt, der Lärm: Gegenüber der Klinik befindet sich ein Hubschrauberlandeplatz, unter den Fenstern dröhnt die Lüftung der Tiefgarage und raubt Laura den Schlaf, trotz Ohropax. „Das hat mich total fertiggemacht. Allein deshalb habe ich mehrfach schon in der ersten Woche überlegt, die Reha abzubrechen.“

Dass sie dennoch fast fünf Wochen bleibt, hat auch mit Angst zu tun. Angst vor den Folgen eines Abbruchs für Krankengeld oder Rentenansprüche. Eine Entscheidung, mit der Laura hadert. Heute, einige Wochen nach dem Klinikaufenthalt, sind ihre Beschwerden noch immer deutlich verstärkt, die Erschöpfung, die Migräneattacken, die Gliederschmerzen.

Wichtige Tipps für das sogenannte Pacing

Man kann nicht einmal behaupten, dass die Erkenntnisse neu sind. Seit vielen Monaten bezeichnet es die ärztliche Leitlinie als „essenziell“, vor Beginn einer Post-Covid-Reha PEM zu diagnostizieren oder auszuschließen und die „individuelle Belastungstoleranz zu kennen“. Die Leitlinie warnt sogar davor, dass die in den Kliniken „häufig vorrangige Trainingstherapie oftmals nicht zielführend ist bzw. auch zu einer Symptomverstärkung führen kann“. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sagte zu Beginn des Jahres: „Die falsche Reha kann eine zusätzliche Schwächung zur Folge haben.“ Und Carmen Scheibenbogen, die ME/CFS-Expertin der Charité, berichtet von Patienten, die eine solche Fehlbehandlung gar „in den Rollstuhl gebracht“ hat.

Das alles bestätigt die Umfrage von Long-Covid Deutschland. Sie sammelt auch gute Reha-Erfahrungen: Menschen berichten von sensiblen Ärzten, von einem Programm, das ihre Symptome gelindert habe, und davon, erstmals wichtige Tipps zum Umgang mit ihrer Erkrankung erhalten zu haben. Vor allem Tipps für das sogenannte Pacing empfanden viele als hilfreich: eine Strategie, die eigene Belastungsgrenze zu erkennen und einzuhalten. Viele Post-Covid-Betroffene, so scheint es, profitieren also von der Reha.

Doch allem Wissen zum Trotz, werden – auch auf Drängen von Krankenkassen und Rentenversicherung – Menschen in die Reha geschickt, die zu krank für jedes Programm sind. Und in Kliniken, die auf die Patienten nicht eingestellt sind oder einseitig auf eine Fachrichtung ausgerichtet sind, obwohl Post-Covid eine komplexe Erkrankung ist.

Äußern sich Umfrageteilnehmer negativ, dann meist, weil sie eine „Überforderung“ empfanden. „Allein die Laufwege sowie der Lärmpegel in der Mensa führten zur Zustandsverschlechterung“, kommentierte ein Rehabilitand. Andere berichten, sich dem Programm unterworfen zu haben, weil sie sonst „als faul abgestempelt“ wurden oder Sorgen vor den Konsequenzen hatten. „Das führte dazu, dass ich mich nur noch mehr angestrengt habe. Heute bin ich bettlägerig“, lautet ein weiteres Umfragezitat.

Laura ist überzeugt davon, dass der ganze Ansatz der falsche ist. „Für ME/CFS macht das System Reha keinen Sinn“, sagt die Lehrerin. Die Charité-Immunologin Scheibenbogen ist optimistischer. Sie leitet die „CFS-Care“-Studie, deren Ergebnisse Ende 2024 vorliegen sollen. Bisher, sagt sie, hätten 90 Prozent der Teilnehmer die Reha in Kreischa als „sehr hilfreich“ empfunden, weil sie die Erkrankung besser bewältigen könnten. Bei einem Drittel habe sich sogar „eine deutliche Besserung“ eingestellt. Dennoch sagt Scheibenbogen: „Die Reha ist nur für Patienten geeignet, die nicht so schwer erkrankt sind.“

Die Gesundheitswissenschaftlerin Hammer sieht Handlungsbedarf: „Damit Reha für Menschen mit Post-Covid sicher ist, bedarf es schnellstmöglich verbindlicher Vorgaben von den Versicherungsträgern. Die Reha-Fähigkeit der Patienten muss zuverlässig geprüft, die individuellen Belastungsgrenzen bei PEM eingehalten werden.“ Hammer fordert eine grundlegend andere Herangehensweise: „Wir müssen das Konzept Reha – zumindest für einen Teil der Betroffenen – völlig neu denken.“

;„Abends konnte ich die Augen gar nicht mehr

aufmachen, weil es mir so schlecht ging. Das war ein Zustand, den ich vor der Reha nicht kannte.“