Das nächste große Ding in Sachen Befreiung Deutschlands von kolonialem Raubgut steht bevor. Diesmal betrifft es nicht durch Hehlerei erlangte britische Beute aus Nigeria (die Benin-Bronzen), sondern Schätze aus der deutschen Kolonie Kamerun. Dort waren deutsche Schatzjäger die ersten; sie waren zielgerichtet unterwegs und daher besonders erfolgreich. 40.000 den lokalen Gesellschaften „genommene“ Objekte lagern in deutschen Museen, wie erst jetzt festgestellt wurde. Einige stehen in Ausstellungsvitrinen; die Mehrzahl lagert jedoch unbeachtet, entwurzelt und funktionslos in Depots.

Die deutschen Beutegreifer fanden wundervoll ausgestattete Völkerschaften vor und hinterließen kulturell geplünderte Landschaften. Jetzt steht fest: Es wird erste Restitutionen geben. Nicht nur das ist bemerkenswert: Auch im Umgang zwischen deutschen Museen und den sogenannten Herkunftsgesellschaften hat sich Grundlegendes geändert. Er wird dekolonialisiert.

Was war das für eine Aufregung in Deutschland, als die Benin-Bronzen vor fast einem Jahr vom Staat Nigeria an den König von Benin weitergegeben wurden – anstatt sie, wie angeblich vereinbart, in einem wohlklimatisierten Museum nach europäischem Muster auszustellen! 20 dieser herrlichen Objekte hatten Außenministerin Annalena Baerbock und Kulturstaatsministerin Claudia Roth, beide Grüne, höchstpersönlich mit Regierungsflugzeug und erweitertem Hofstaat nach Afrika zurückbegleitet – stolz darauf, alles anscheinend richtig gemacht zu haben. Und dann beschließt der Staat Nigeria, alles dem König von Benin zu überlassen – dem legitimen Nachfahren der ursprünglichen Eigentümer. Man hielt den Oba wohl für eine Art Privatmann. Es folgte ein deutscher Reflex: Wie können die es wagen? Das ZDF fragte: „War das naiv?“ und der Tagesspiegel sorgte sich: „Ist da noch was zu retten?“

Der Fall steht als Lehrbeispiel für hochkomplexe Verhandlungen, die seit einem Jahr zwischen Kamerun, von 1882 bis 1914 deutsche Kolonie, und den deutschen Verwaltern des kamerunischen Kulturerbes laufen. Eine kamerunische Delegation hat in der zweiten Januarhälfte sieben deutsche Museen, darunter in Berlin das Ethnologische Museum im Humboldt-Forum, besucht. Neben Vertretern der Regierung, des Nationalmuseums und des Nationalarchivs gehörten der Delegation auch vier Repräsentanten mehrerer Königshäuser und traditioneller Gemeinschaften an.

Ermittlung der Eigentümer

Schon mit der Zusammensetzung der Delegation macht der Staat Kamerun klar: Repräsentanten der Geschichte und Kultur des Landes reden an entscheidender Stelle mit. Aus deutscher Perspektive muss man sagen: Diese Herkunftsgesellschaft sieht inzwischen ganz anders aus als die bisher vom Humboldt-Forum als wortführend präsentierte Schar – vielfach westlich geprägter – Decolonizer-Aktivisten mit allenfalls losem Bezug zu traditionellen afrikanischen Kulturträgern.

Ein Team um die Kunsthistorikerin Professorin Bénédicte Savoy hat die Faktenbasis für die Verhandlungen erarbeitet: den „Atlas der Abwesenheit. Kameruns Kulturerbe in Deutschland“, einen Katalog aller 40.000 in Deutschland befindlichen Objekte. Von der Masse waren alle überrascht, und viele der kamerunischen Völkerschaften bekommen zum ersten Mal ihren einstigen Reichtum zu sehen. Nun steht die Aufgabe an, die wahren Eigentümer zu ermitteln.

Bénédicte Savoy erinnert daran, dass es in Kamerun mit seinen mehr als 80 traditionellen Königen ersten Grades, mehreren Hundert zweiten Grades und noch mehr dritten Grades viel mehr Beteiligte gebe. Anders als in Nigeria habe man es nicht mit nur einem König zu tun. In mehreren Dutzend Gemeinschaften seien „Dörfer geplündert, Ahnen getötet, Kult- und Machtobjekte geraubt oder auch eine Urgroßmutter vergewaltigt“ worden. Die meisten Objekte seien „unter äußerst gewaltsamen Umständen“ mitgenommen worden. Diese historisch belegten Fakten würden von den Museen „zur Kenntnis genommen“. Entsprechend groß schätzt sie die Bereitschaft zur Rückgabe ein.

Nach der Rundreise der Kamerun-Kommission durch die Museen in Stuttgart, Köln, München, Leipzig, Hannover, Berlin und Hamburg war zu erfahren, dass drei wertvolle Kunstgegenstände kurzfristig, womöglich noch in diesem Jahr restituiert werden könnten – für den Anfang. Sie stammen aus drei der vier Regionen Kameruns. Jede soll in gleicher Weise von den Rückgaben profitieren. Deshalb muss auch für die vierte, die der Fang Beti, noch ein Objekt bestimmt werden. Dann wäre der Weg frei für die erste Heimführung.

Aus Berlin wird die berühmte, mit Kaurischnecken verzierte Göttin Ngonnso ins Reich Nso im Nordwesten Kameruns zu den ersten Heimkehrern zählen, wie ein Sprecher des Ethnologischen Museums im Humboldt-Forum bestätigte. Seine Majestät Bruno Mvondo, Vertreter der Fang Beti in der Delegation, sagte in der ARD, dass solche Objekte „die Beziehungen zu den Ahnen“ wieder aufbauen können.

Aus der Delegation war weiter zu vernehmen, dass alle vier Heimkehrer zunächst in der Hauptstadt Douala ausgestellt werden könnten, daraufhin werde eine Tour durch die Provinzen folgen, bevor das jeweilige Objekt in die Heimatregion zurückkehrt. Dort könnten sie „als spirituelle Kraft, als Medizin, als Herz der Gemeinschaft“, nicht als Ausstellungsstücke, ihre Wirkung entfalten, wie es Delegationsleiterin Rékia Nfunfu Ngeh formulierte. Sie sollen alte, fast vergessene Traditionen wiederbeleben sowie nationale und internationale Touristen anlocken.

Die Vielfalt der Interessen innerhalb Kameruns lässt für weitere Restitutionen einen gründlichen Diskussionsprozess erwarten, der Konflikte möglichst beim Entstehen löst. Die kamerunische Seite wünscht aus diesen Gründen, das Tempo zu bestimmen.

Unterstützend reiste das Team um Bénédicte Savoy kürzlich nach Kamerun: drei Tage, angefüllt mit Vorträgen, so im Nationalmuseum in Yaounde oder in der Universität in Douala und mit Gesprächen wie mit Prinzessin Maryline Manga Bell, Urenkelin von Rudolf Manga Bell, der 1914 wegen Widerstands gegen die Kolonialmacht hingerichtet wurde. Weitere Reisen mit dem Ziel der „Restitution von Wissen“ finden im März statt.

Die Forscherin weist mit Freude darauf hin, dass der „Atlas der Abwesenheit“ allen frei und leicht zugänglich im Netz in Open Access zur Verfügung steht. Online durchforschbar sind auch eine autorisierte französische Fassung und eine automatisch erzeugte englische, ebenso alle Forschungsdaten – Informationen, Listen, Statistiken. Für alle in Kamerun, die Schwierigkeiten mit dem Internet haben, gibt es „mehrere Kilogramm“ USB-Sticks mit allen Daten.

Noch vor Kurzem schien es so, als wollten die deutschen Museen von den Königtümern nichts wissen. Dass es sie gibt, trotz der Existenz eines zentralen, autokratischen Staates, wisse jeder, der mit Kamerun zu tun hat, sagt Bénédicte Savoy: „Das war meines Erachtens auch den deutschen Museen von Anfang an klar.“ Im nun laufenden Dialog zeige sich, dass sich Vertreter der Königtümer und des Staats abgesprochen haben. Ein Ergebnis ist die Gründung der Nationalkommission für Restitution.

Im Berliner Ethnologischen Museum heißt es, man sei „sehr froh“, dass die kamerunische Kommission nun „die Gesamtkoordination und -kommunikation mit den einzelnen kamerunischen Königtümern“ übernehme.

Prinz Legrand de Bangoua, in Berlin ansässiger Vertreter des Bangoua-Königtums, bekam von der Regierung Kameruns das Mandat verliehen, als Vertreter der Kommission aufzutreten. Seit Oktober hat er einen Beratervertrag mit dem Ethnologischen Museum. Dieses erhofft sich durch ihn „intensive Beratung in Bezug auf Protokollfragen“ beim Umgang mit Vertretern von Königshäusern, über „zivilgesellschaftliche Prozesse in Kamerun“ und entsprechend verbesserte Kommunikation.

Es besteht also Hoffnung, dass sich nicht wiederholt, was sich Ende November 2021 zugetragen hatte: Damals besuchte der König der Bangoua persönlich die Objekte seiner Familie im Kamerunsaal – ohne Begleitung durch das Museum. Auch eine Peinlichkeit wie im Fall der Benin-Bronzen sollte sich nicht wiederholen.

Ebenso wird der inzwischen mehr als 20 Jahre währende Kampf um die Rückgabe eines weiteren spektakulären Objektes offenbar zu einer Lösung kommen: Das Objekt liegt im Münchner Museum Fünf Kontinente, gehört zu den für umgehende Rückgabe vorgesehenen Objekten und hat viel mit Berlin zu tun. Von hier aus kämpfte Kum A Ndumbe III., jahrelang Politologie-Professor am Otto-Suhr-Institut der FU, um den Tangué, einen 1,50 Meter langen reich geschnitzten Schiffsschnabel. Dieser verzierte ein Ritualschiff beim jährlichen Großen Wasserfest seines im Delta des Flusses Wouri bei Duala lebenden Bele-Bele-Volkes.

Geraubte Seele

Der habilitierte Wissenschaftler kehrte 2002 nicht nur deshalb heim, weil sein Afrika-Lehrstuhl in Berlin weggespart wurde, sondern auch, weil er bei seinem Volk als traditioneller Träger von Amt und Würden in der Pflicht stand. Das Bootsornament gilt seinen Leuten als Königsinsignie. „Die geraubte Seele“, wie er selber sagt. „Für uns ist das keine Schnitzerei, die man im Museum mit ästhetischem Genuss anschaut“, sagte er der Berliner Zeitung 1998: „Die Symbole vereinigen die ganze Welt der Duala: die der Ahnen, die der Lebenden, die der Kommenden, das Oben, das Unten.“

Der Tangué war 1884 aus dem Palast des Großvaters Lock Priso geholt worden, bevor die Marinesoldaten des Kanonenboots „Olga“ das Gebäude beschossen und Kolonialtruppen es in Brand steckten. Die Abläufe sind gut dokumentiert: Seinerzeit schleppte ein Max Buchner die Schätze weg, und zwar im Auftrag des Münchner Völkerkundemuseums. Später wurde Buchner Direktor der Ethnographischen Sammlung.

Auf eine Nachfrage über die Umstände der Rückgabe reagierte das Münchner Museum reserviert, als hätten sich die Zeiten nicht gewandelt: Man befinde sich in „konstruktiven und verantwortungsvollen Gesprächen“, man bemühe sich, „einen Weg zu finden, der die Gemeinschaft, aus der der Tangué stammt, mit einbezieht und für zukünftigen Kooperationen offen ist“.

Am 23. Januar diesen Jahres waren die Gesandten aus Kamerun im Humboldt-Forum. Auch von Berlin aus zogen Abenteurer, Forscher, Geschäftsleute und Missionare durch die Kolonie. Museumsdirektor Lars-Christian Koch sagte im Fernsehen, man werde nun gemeinsam „die zentral wichtigen Objekte“ priorisieren.

Und dann kommt vielleicht der Tag, an dem auch der prächtige Thron des Königs von Bamoun, das Prunkstück des Kamerunsaals, heimreist. Der König war im vergangenen Sommer bereits einmal da und hatte unter dem Jubel Dutzender Landsleute schon mal Platz genommen.