Samstag, 18. Januar 2025, Berliner Zeitung
„Die Berichterstattung passt zum Weltbild der Redakteure“
Seine ARD-Kollegen werden sein Buch kaum mögen, sagt Alexander Teske. Er war sechs Jahre Planungsredakteur der „Tagesschau“. Hier erzählt er, was hinter den Kulissen passiert und warum Ostthemen es so schwer haben
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Anja Reich (Interview)
Man traut es ihm nicht zu, das ist das Erste, was man denkt, wenn man Alexander Teske zum Interview trifft. Ein leiser, schmaler Mann, der eine große Tasche mit Geschenken für seine Tochter dabeihat, die er später besuchen wird. Sieht so ein Whistleblower aus? Teske, 1971 in Leipzig geboren, hat lange beim MDR gearbeitet und war zuletzt sechs Jahre lang als Planungsredakteur bei der „Tagesschau“ angestellt. Nach seinem Ausscheiden hat er das Buch „Inside Tagesschau“ geschrieben, das am Montag im Langenmüller-Verlag erscheint. Er beschreibt darin, was hinter den Kulissen der wichtigsten und größten Nachrichtensendung des Landes geschieht. Und kommt zu dem Fazit: „Ihrer Aufgabe, eine kritische Distanz zu den Herrschenden zu halten, wird die Tagesschau nicht gerecht.“
Herr Teske, haben Ihre ehemaligen Kollegen Ihr Buch schon gelesen?
Die „Tagesschau“ hat auf allen Wegen versucht, das Manuskript zu bekommen. Mitarbeiter haben mich persönlich angeschrieben oder den Verlag, unter dem Vorwand, sie würden Buchveröffentlichungen besprechen. Sie waren aber seit 20 Jahren festangestellte Redakteure.
Bei der ARD?
Ja, bei der „Tagesschau“. Das Cover kennt die ARD schon, sie haben ein neues durchgesetzt.
Was sind die Unterschiede zwischen altem und neuem Cover
?
Das Blau auf dem Bild war ihnen zu stark. Der NDR hat argumentiert, das Cover sei zu nah am Auftreten der „Tagesschau“ nach außen und der Käufer könnte denken, dass die „Tagesschau“ selbst das Buch veröffentlichen würde.
Haben Sie Sorge, dass die ARD gegen das Buch vorgehen wird, wenn es erscheint?
Wir haben alles sehr genau geprüft, damit sie nicht dagegen vorgehen können. Sie werden vermutlich hoffen, dass das Buch ignoriert wird. Oder sagen, ich sei ein enttäuschter, frustrierter Mitarbeiter.
Sind Sie das?
Nein.
Aber Sie arbeiten nicht mehr bei der „Tagesschau“. Warum nicht?
Weil mein Vertrag nicht verlängert wurde. Ich war ursprünglich Redakteur beim MDR. Weil die „Tagesschau“ mit den Jahren immer mehr gewachsen ist, brauchten sie Unterstützung aus den anderen Landesanstalten, und die bekamen sie über sogenannte Rotationsstellen. Jeweils ein Redakteur wird für eine begrenzte Zeit nach Hamburg geschickt, quasi ausgeliehen. Ich hatte einen Zwei-Jahres-Vertrag, der immer wieder verlängert wurde. Nach sechs Jahren war Schluss, damit man sich nicht einklagen kann. Meine Kollegen waren dann sehr überrascht, dass ich nicht zum MDR nach Leipzig zurückgegangen bin, wo mein Vertrag geruht hat.
Warum haben Sie das nicht gemacht?
Ich hatte mich in Hamburg eingelebt, bin mit meiner Freundin zusammengezogen, die zwei schulpflichtige Kinder hat, arbeite jetzt als freier Journalist, wollte lieber schreiben. Und pendeln wollte ich auch nicht mehr.
Wie sind Sie auf die Idee gekommen, dieses Buch zu schreiben?
Ich habe gemerkt, alle meckern über die Öffentlich-Rechtlichen, aber es gibt großes Unwissen darüber, wie Entscheidungen entstehen. Es sollte eigentlich ein Erklärbuch werden, aber beim Schreiben ist mir aufgefallen, wieviele Auseinandersetzungen es innerhalb der Redaktion gibt, was alles schiefläuft, und bei Gesprächen habe ich gemerkt, dass das der spannendere Teil ist.
Das heißt, Sie wollten erst eine Art Verteidigungsbuch schreiben?
Ja, es ist so, dass intern alle schimpfen. Alle, die dort arbeiten, wissen, wovon ich rede. Aber sie tragen es nicht in die Öffentlichkeit. Das hat auch damit zu tun, dass man ständig von außen angegriffen wird, wenn man bei der „Tagesschau“ arbeitet. Da bildet sich so eine Wagenburgmentalität heraus. Die hat sich auch auf mich übertragen. Ich habe die „Tagesschau“ lange verteidigt, vor allem gegenüber meinem Vater. Einiges von meiner ersten Fassung steht noch im Buch.
Ihre Beschreibungen sind zum Teil sehr genau. Man hat den Eindruck, Sie haben während Ihrer Arbeit mitgeschrieben.
Ja, aber nicht, weil ich ein Buch schreiben wollte. Ich schreibe Tagebuch, immer schon.
Haben Sie gleich einen Verlag gefunden?
Es gab Verhandlungen mit mehreren Verlagen, auch großen, Gespräche mit Cheflektoren. Sie fanden es inhaltlich sehr gut, haben aber am Ende doch abgesagt. Einer meinte, er wolle es sich mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht verderben, weil sie als Verlag ja auf die Berichterstattung über ihre Bücher und Autoren angewiesen sind. Ein anderer sagte, sie hätten Angst vor Beifall von der falschen Seite. Von mittelgroßen Verlagen gab es dann zwei Angebote.
Muss man bei der „Tagesschau“ nicht im Vertrag unterschreiben, dass man keine Interna nach draußen trägt?
Ich verrate keine Geschäftsgeheimnisse. Und meiner Meinung nach gibt es ein berechtigtes öffentliches Interesse, zu erfahren, wie Entscheidungswege bei der wichtigsten Nachrichtenmarke des Landes funktionieren.
In Ihrem Buch geht es unter anderem darum, wie es für Sie als Ostdeutscher war, bei der ARD zu arbeiten. Ihr erster Beitrag wurde zum Beispiel nicht gesendet, weil Sie gesächselt haben.
Er wurde gesendet, aber von jemand anderem eingesprochen. Dass Bayern bayerisch sprechen dürfen, ist mir damals noch nicht aufgefallen. Ich habe eher mit mir gehadert, an mir gezweifelt, nicht an den anderen.
Gibt es noch andere Dinge, die Ihnen nicht gleich aufgefallen sind?
Dass wir überwiegend westdeutsche Chefs hatten beim MDR, vom Bayerischen Rundfunk vor allem.
Wie war das dann bei der „Tagesschau“ in Hamburg?
Ich habe erst gedacht, ich bin der einzige Ostdeutsche im gesamten Team. Heute weiß ich, in der Planungsabteilung war ich es auch, aber insgesamt gab es vielleicht zwölf Ostdeutsche von insgesamt 300 Redakteuren.
Warum haben Sie dann gedacht, Sie sind der Einzige?
Weil man mit seiner ostdeutschen Herkunft nicht hausieren geht. Man hört es niemandem mehr an. Auch mir nicht. Ich habe Sprechtraining gemacht und mir das Sächseln abtrainiert. Es erzählt auch niemand oder trägt es vor sich her: Ich bin Union-Berlin-Fan oder so. Das ist die absolute Ausnahme. Es ist kein Gewinnerthema, aber das ist ja nichts Medienspezifisches. Bei Markus Preiß, dem Chef des ARD-Hauptstadtbüros, war ich sehr überrascht, dass er Thüringer ist. Er hat es nie thematisiert.
Aber die beiden wichtigsten „Tagesschau“-Sprecher Jens Riewa und Susanne Daubner kommen aus dem Osten.
Das wusste ich auch lange nicht. Sie haben ja auch keinen Einfluss auf die Sendung, kommen kurz vor Beginn, lesen sich die Moderationskarten durch, schauen sich die Aussprache an, und wenn es losgeht, lesen sie die Nachrichten vor.
Wie Marionetten, schreiben Sie.
Ja. In der anschließenden Auswertung stehen sie still daneben. Und wenn sie alles richtig ausgesprochen haben, spielen sie keine Rolle, weil inhaltlich nichts mit ihnen diskutiert wird.
Aber die Nachrichtensprecher führen doch auch Interviews während der Sendung?
Sie lesen ihre Fragen vom Teleprompter ab. Es wird grundsätzlich keine Frage spontan gestellt. Linda Zervakis und Judith Rakers hätten das gekonnt. Aber auch ihnen wurde alles vorgegeben.
Bei den „Tagesthemen“ ist das aber anders?
Ja, da schreiben die Moderatoren ihre Interviews selbst, bekommen dabei natürlich Unterstützung von Redakteuren. Aber das sind wirkliche Moderatoren.
Was genau haben Sie als Planungsredakteur bei der „Tagesschau“ gemacht?
Von den vielen Themen, die es jeden Tag gibt, muss man zehn aussuchen. Wenn die Redakteure ins Büro kommen, sagt man ihnen dann: Das ist dein Thema, das deins. Und auch für den Fall, dass mal wenig passiert, muss die Sendung voll sein, spricht man sich mit den Landesanstalten ab, fragt, welche Beiträge von dort geliefert werden. Es gibt natürlich auch die langfristige Planung, da wird beispielsweise entschieden, wer zu welchem Parteitag fährt.
Wie suchen Sie die Themen aus, welche schaffen es in die Sendung, welche nicht?
Das hängt sehr vom Einfluss der einzelnen ARD-Studios ab. Washington zum Beispiel hat enormen Einfluss, vier Redakteure können viel Druck ausüben. Wenn man als Einzelkämpfer ganz Südamerika abdecken muss, ist das schwieriger. Die Dominanz der USA und der westlichen Welt ist sehr stark, der Osten dagegen sehr schwach vertreten. Die Ukraine wurde bis zum Einmarsch der russischen Armee vom Studio Moskau aus mit betreut. Dann wurden schnell Reporter hingeschickt, die weder die Sprache konnten noch über Kontakte verfügten. Das Studio in Schwerin hat so wenig Leute, dass sie Probleme haben, ihr eigenes Regionalprogramm zu bestücken. Ich glaube, ich habe in den sechs Jahren, die ich dort gearbeitet habe, nie erlebt, dass sie angerufen und eine Geschichte angeboten haben.
Das heißt, die Proteste gegen das LNG-Terminal auf Rügen kamen in der „Tagesschau“ nicht vor?
Darüber haben wir, wenn überhaupt, kaum berichtet. Natürlich habe ich versucht, ostdeutsche Themen unterzubekommen, aber wenn ich keinen Dienst hatte, war das schwer. Der MDR ist der Einzige, der anruft und sagt, ihr müsst da mal was machen. Aber auf den Hutbürger waren sie auch nicht so scharf.
Der Hutbürger war der Mann auf einer Pegida-Demo in Dresden, der diesen schwarz-rot-goldenen Anglerhut getragen hat, richtig?
Genau, der Hut hat dann auch zum Spiegel-Titel geführt: „So isser, der Ossi“. Der Mann hatte ein ZDF-Team bei einer Pegida-Demo aufgefordert, ihn nicht zu filmen, und die Dresdner Polizei hat die Personalien der Journalisten aufgenommen, sie eine halbe Stunde an der Arbeit gehindert. Das hat meine Kollegen empört, vor allem, als sich herausgestellt hat, dass der Hutbürger für das Landeskriminalamt Sachsen gearbeitet hat.
Wieso hat Sie das empört?
Es hieß dann, die Polizei steckt mit den Pegida-Demonstranten unter einer Decke. Die Kanzlerin und die Bundesjustizministerin mussten das kommentieren.
Und der MDR sah das anders?
Die Kollegen vom MDR fanden das alles überzogen. In Hamburg wurde über sie gelästert, sie würden die Themen nicht erkennen. Wir haben in der 20-Uhr-Sendung an zwei Tagen hintereinander darüber berichtet, am ersten Tag war es sogar Spitzenmeldung. Nach dem Motto: Was da in Sachsen wieder los ist!
Das Spiegel-Cover über den Hutbürger wurde ja von einer Ostdeutschen entworfen.
Das kann ich mir gut vorstellen. Es beeinflusst einen eben, im Westen zu leben und mit Menschen zusammen zu sein, die anders denken. Man bedient das, von dem man denkt, es kommt gut an. Vor kurzem habe ich einem ostdeutschen Journalisten von der SZ vorgeschlagen, über Wochenkinder in der DDR zu schreiben. Er meinte, das sei kein Thema.
Mit welcher Begründung?
Für Ostdeutsche sei es eine größere Überraschung, dass es sowas wie Wochenkrippen oder Wochenheime gab, als für Westdeutsche, hieß es. Für die sei ja eh klar, dass in der DDR alles repressiv war. Ich habe dann nachgeguckt und festgestellt, die SZ hat noch nie über Wochenkrippen oder Wochenheime berichtet. Man hält das für ein Nischenthema. Ich habe das irgendwann selbst geglaubt, hatte die Nase voll, der Ossi vom Dienst zu sein. Ich fand auch die Auswahl der Ostthemen bei der „Tagesschau“ skurril. Die dachten, wenn sie einen verstorbenen Ostschauspieler vermelden, stärken sie die Ostkompetenz der ARD. Wichtiger wäre es gewesen zu transportieren, dass über große Themen mehrheitlich anders gedacht wird: Corona, Ukraine, Migrationspolitik. Erst wenn es Demos mit Ausschreitungen gab, wurde das wahrgenommen.
Das mit den Ostkünstlern ist der lustigste Teil in Ihrem Buch. Als wer wurde Gerhard Gundermann nochmal bezeichnet?
Als der Bruce Springsteen des Ostens. Und über den Aktfotografen Günter Rössler aus Leipzig hieß es, er sei der Helmut Newton des Ostens. Außer dass beide Aktfotos gemacht haben, hatten sie nichts gemein. Das ist mir immer wieder begegnet, dass man nicht für sich steht, dass Ostdeutsche mit Westdeutschen verglichen werden, was ja auch eine Abwertung ist.
Als Heinz Florian Oertel gestorben ist, mussten Sie Ihre Kollegen davon überzeugen, eine Meldung darüber zu bringen.
Ja, eine 25-Sekunden-Meldung, einen richtigen Nachruf hat er nicht bekommen. Niemand kannte Oertel. Ernst Huberty dagegen, der einen Monat später gestorben ist, bekam einen richtigen Nachruf, 90 Sekunden lang, in jeder „Tagesschau“-Ausgabe.
Ernst Huberty?
Der galt im Westen als Mr. Sportschau. Ich hatte bis dahin auch noch nichts von ihm gehört.
Bei dem Vergleich von Eva-Maria Hagen mit Brigitte Bardot haben Sie auch Einspruch erhoben?
Ja, das stand so im Nachruf einer Agentur, und es wurde einfach übernommen. Ich habe angerufen und gesagt, das stimmt nicht. Wieso stimmt das nicht, das schreiben doch alle, hieß es. Ja, klar, weil alle die Agentur nehmen und es nicht besser wissen! Man kann so etwas nicht mehr einfangen, wenn es einmal in der Welt ist.
Sie haben sich für Ihre Recherche zum Buch die „Tagesschau“-Sendungen eines halben Jahres angesehen und nachgezählt, welche Politiker wie oft in der „Tagesschau“ vorkommen.
Das war mühsam, ja.
Auf welches Ergebnis sind Sie gekommen?
Olaf Scholz war Nummer eins, Nancy Faeser an zweiter Stelle, Robert Habeck an dritter. Unter den Top Ten der Politiker waren kein einziger AfD-Vertreter und kein Ostdeutscher.
Eine ostdeutsche Kollegin, die einen Kommentar gegen Waffenlieferungen gesprochen hat, wurde nie wieder auf Sendung genommen. Wie war das genau?
Das war Rommy Arndt, eine freie Journalistin. Nach ihrem MDR-Kommentar gab es irren Gegenwind in der Redaktion, obwohl viele in diesem Land so denken. Und obwohl es eigentlich die Vorgabe gibt, Kommentare nicht zu besprechen. Offiziell herrscht Meinungsfreiheit bei der „Tagesschau“. Das heißt, man darf eine Meinung nicht gut finden und nicht kritisieren. Deshalb hat es mich so geärgert, wie mit Rommy Arndt umgegangen wurde. Sie hat Strack-Zimmermann vorgeworfen, Kontakte in die Waffenlobby zu haben. Und es hieß dann, das stimme nicht. Aber ja, es stimmt. Die Berichterstattung der „Tagesschau“ passt zum Weltbild der Redakteure.
Welches Weltbild ist das?
Alle sind eingenommen von ihrer Bedeutung. Es ist eine Ehre, für die „Tagesschau“ zu arbeiten, dabei ist es ein Job wie jeder andere auch. Es wird ihnen auch eingeredet, wie wichtig sie sind, wie sie die Meinungsbildung beeinflussen. Sie haben Geld und ideale Arbeitsbedingungen, sind unkündbar, abgesehen von den Redakteuren mit den Kettenverträgen, wie ich einen hatte. Trotzdem schimpfen alle. Es gibt Leute, die am Tag zwei Meldungen schreiben und trotzdem unzufrieden sind.
Wie funktioniert die Wahrnehmung der Realität in Krisenzeiten wie diesen?
Beim MDR gehen viele regelmäßig raus aus der Redaktion und wissen, wie die Leute ticken. Bei der „Tagesschau“ fährt man mit dem Auto auf den Parkplatz, geht in die Redaktion, fährt wieder nach Hause. Alles, was draußen passiert, erfährt man über die Medien. Die Wahrscheinlichkeit, mit jemandem befreundet zu sein, dem es schlecht geht, ist relativ gering. Das ist natürlich ein generelles Journalistenphänomen. Vor allem in Hamburg.
Vor wenigen Tagen wurde im RBB ein Beitrag über Proteste gegen die AfD gesendet. Anlass war der Jahrestag des Geheimtreffens der AfD in Potsdam vor einem Jahr und die Correctiv-Berichte darüber. Dass sich Correctiv korrigieren musste, wurde nicht erwähnt. Ist so etwas Absicht oder Versehen?
Den Beitrag habe ich nicht gesehen, aber es überrascht mich nicht: Gegen die „Tagesschau“-Berichte zum Treffen in Potsdam wurde geklagt. Die „Tagesschau“ hat verloren. Einen Korrekturhinweis gibt es bis heute nicht. Die Beiträge stehen weiter auf der Homepage. So etwas gibt es auch bei anderen Themen, der Corona-Aufarbeitung zum Beispiel. Bei Leuten wie meinem Vater führt es dazu, dass er sagt: Das und das berichtet ihr nie, Politiker und Journalisten stecken alle unter einer Decke.
Wie laufen die Gespräche zwischen Ihnen und Ihrem Vater ab?
Ich habe ihm vor ein paar Jahren ein Handy geschenkt, seitdem geht er auf ich weiß nicht was für Seiten. Er behauptet, er sieht keine „Tagesschau“ mehr. Aber wenn er seine Wut besiegt und ruhig bleibt, hat er gute Argumente. Er sagt, wenn man von einem System profitiert hat wie ich, ist man eher bereit, es zu verteidigen. Da hat er recht: Wenn es mir bei der „Tagesschau“ gut geht, ich einen sicheren, hochbezahlten Job habe, ist die Hürde viel höher, das System infrage zu stellen.
Was ärgert Sie am meisten an dem System?
Dass die Chefs vom Dienst, CvDs, die in der Öffentlichkeit nie eine Rolle spielen, sehr großen Einfluss haben. Sie treffen alle Entscheidungen, müssen sich aber nie verantworten. Keiner weiß, wer sie ernennt, wie sie ausgewählt werden. Die Stelle wird nicht ausgeschrieben. Man fängt als Redakteur an, dient sich langsam nach oben, und irgendwann heißt es, du bist gut genug, du kannst auf Probe anfangen. Wenn du dich bewährst, bekommst du den Posten.
Was meinen Sie mit: Sie müssen sich nicht verantworten?
Offizielle Kontrolle über die Inhalte der Sendung hat der Rundfunkrat. Wenn es wirklich mal Ärger geben sollte, muss der Chefredakteur dazu Stellung nehmen. Die CvDs haben aber viel mehr Macht als der Chefredakteur innerhalb der Redaktion.
Es gab gerade eine sehr umstrittene Entscheidung bei der ARD über Thilo Mischke. Erst wurde er zum neuen Moderator von „ttt“ ernannt, und nachdem es einen Shitstorm gegen ihn gegeben hatte, wurde er gecancelt. Was haben Sie gedacht, als Sie das gehört haben?
Dass das so typisch ist. Typisch für undurchsichtige Entscheidungen. Man weiß nicht, wer sie fällt und wie sie fallen. Es gibt wenig Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten. Es gibt so viele Mitarbeiter bei der ARD, aber es wird außerhalb der Redaktion nach einem Kandidaten gesucht.
Was müsste sich verändern bei der „Tagesschau“, damit Leute wie Ihr Vater sie wieder sehen?
Das ist sehr schwierig zu sagen, weil die Strukturen so fest angelegt sind, weil man als Einzelner nicht einfach mal was verändern kann. Und ich glaube, es wird wahnsinnig schwer, Leute wie meinen Vater wieder zurückzuholen. Menschen mit unterschiedlicher Herkunft dort arbeiten zu lassen, wäre wichtig, nicht nur Akademiker und Westdeutsche. Und nicht nur Kommentatoren oder Interviews mit Experten zu senden, die die Meinung der Redakteure vertreten. Jetzt, da Mark Zuckerberg sagt, er lasse keine Fakten mehr prüfen, sagt die ARD, wir bauen unseren Faktenfinder aus. Aber dieser Faktenfinder geht gar nicht bei der „Tagesschau“. Ehemalige Kollegen dort sehen es nicht als ihre Aufgabe an, herauszufinden, was wahr ist oder nicht, sondern zu sagen, was sie davon halten.
Wie geht es Ihnen jetzt, kurz vor der Veröffentlichung Ihres Buches?
Ich habe ein paar Nächte nicht gut geschlafen, auch weil die „Tagesschau“ so großen Druck gemacht hat. Der Chefredakteur hat mir geschrieben, als ob ich noch sein Untergebener bin. „Lieber Alexander“, und dass sie gerne mit mir in die Diskussion gehen wollen, nachdem sie das Manuskript gelesen haben. Ich glaube, dass meine Beschreibungen ausgewogen und kein Rachefeldzug sind, ich habe die Fakten dreimal überprüft und versucht, jegliche Emotionen rauszunehmen, nicht wütend zu klingen. Aber ich fürchte, sie werden es nicht mögen.